Montag, 30. Mai 2016

Die Lüge vom Charakter




Es ist das übliche Bild, dass sich einem im Alltag und in diversen Internetportalen und den sozialen Medien als Hundehalter bietet. Zig Menschen haben sich eine bestimmte Hunderasse – in der Regel eine mit Arbeitshintergrund – angeschafft und suchen nun verzweifelt nach Hilfe.
In einer Gruppe rund um die Ausbildung des Dobermanns drehen sich die meisten Hilferufe darum, dass der Hund wacht, jagt, an der Leine zieht, bellt und die Wohnungseinrichtung zerstört, obwohl man doch zweimal am Tag eine halbe Stunde mit dem Hund spazieren geht. Zwischen den verzweifelten Hilferufen gibt es dann diverse Hochglanz Fotos von dem schönen schwarzen Dobermannrüden vor der schicken Wohnungseinrichtung, vor dem coolen Motorrad oder einfach nur auf der grünen Wiese mit Frauchen in ihrem neuen Sommerkleid und dem perfekten Make-up.
Der Besitzer eines jungen Retriever sucht verzweifelt Hilfe, denn sein Junghund rennt die Kinder um und zwickt, dabei hatte er doch gedacht, dass die Retriever zu den „netten Rassen“ gehören. Eine Dame ist entsetzt darüber, dass ihr Weimaraner aggressiv auf Fremde reagiert und sich beim letzten Besuch bei der Freundin mal schnell ein Meerschweinchen aus dem Freilauf geschnappt und getötet hat. Dabei ist sie in guter Gesellschaft, denn auch das Verhalten des jungen Jack Russel macht seinen Besitzern Angst, denn der Kleine jagt alles was sich bewegt und geht an der Leine ohne Rücksicht auf Verluste auf andere Rüden los und unerklärlicherweise ist der Border Collie dauergestresst und schleicht dauerhechelnd durch die Weltgeschichte und das obwohl man ein so durchdachtes Beschäftigungsprogramm mit fünfmal Agility die Woche und täglichem Bällchenspielen hat.

Fragt man solche Leute nach dem Grund, wieso sie sich damals eigentlich genau für diese Rasse entschieden haben, kommt immer wie aus der Pistole geschossen dieselbe Antwort: Wir haben uns im Vorfeld gut informiert und fanden den Charakter der Rasse so toll…
Wundert man sich dann, wieso diese Leute genau mit den charaktertypischen Eigenschaften der einzelnen Rassen so überfordert sind, kommt sofort ein vehementes Dementi. Das Verhalten sei doch überhaupt nicht rassetypisch, sie wüssten doch, welchen Charakter diese Hunde hätte. Macht man sich noch die Mühe, diese Aussage zu hinterfragen, teilt sich das Problemfeld sehr schnell in zwei Kategorien. Die Halter der Kategorie eins haben schlicht keine Ahnung, welchen Charakter Rasse X wirklich hat und Kategorie zwei hat sich aus einem Zusammenspiel von 10 genannten Eigenschaften zwei herausgepickt, die zu ihren Vorstellungen passen.

Kategorie eins hat irgendwo im realen Leben oder in den Medien einmal einen oder mehrere Hunde der Rasse gesehen und auf diesen kurzen visuellen Eindruck ohne viel Hintergrundwissen ihre persönliche Vorstellung von dieser Rasse projiziert. So wird aus der Jagdgebrauchsrasse schnell ein familienfreundlicher anspruchsloser Begleithund, denn in der Hundefutterwerbung und auf dem Foto im Facebookprofil einer Dame haben genau solche Hunde mit Kindern und einer Katze gespielt. Aber diese Herrschaften werden Stein und Bein schwören und hoch aggressiv reagieren, wenn man auch nur andeutet, sie hätten sich ihren Hund anhand seines Aussehens ausgesucht. Eine solche Behauptung ist eine infame Unterstellung, selbstverständlich stand bei ihnen der Charakter und nur der Charakter beim Kauf im Vordergrund und es war schlicht nicht zu erwarten, dass ein Magyar Viszla Jagdtrieb entwickelt.

Kategorie zwei hat zumindest den Rassestandard gegoogled und weiß, was den Charakter seiner Rasse ausmacht. Als Anforderung an das neue Familienmitglied standen intelligent, selbstsicher und freundlich auf der Liste. Sportlich sollte der Hund auch sein, denn immerhin geht man gerne spazieren, so mal eine halbe Stunde am Tag und bei passendem Wetter geht man am Wochenende schon mal etwas wandern. Schutztrieb ist nicht erwünscht, immerhin hat man Kinder, wachen soll der Hund auch nicht, das mögen die Nachbarn nicht so gerne und jagen ist auch doof, man will ja im Wald spazieren gehen und das ist nur ohne Leine richtig cool. Schnell landet man nun beim Dobermann. Sieht hübsch aus und im Standard steht ja, dass der Hund freundlich ist, selbstsicher und auf Leistungsfähigkeit wert gelegt wird. Perfekt, denn man braucht schon einen leistungsfähigen Hund für die ganzen Stunden in der Natur. Den Rest des Standards, diese seltsamen Sätze mit Reizschwelle, Schärfe und Härte überliest man, versteht man ja ohnehin nicht so genau, was das eigentlich bedeuten soll und der geschichtliche Abriss ist ja auch egal, denn das ist die Vergangenheit und somit vorbei. Aber natürlich weiß man, wie groß der Hund sein muss und dass man nur einen schönen will, im Notfall fährt man auch schon mal ins Ausland, denn richtig schön sind die Hunde doch eh nur kupiert…
18 Monate später stehen sie dann da und suchen verzweifelt Hilfe. Die Nachbarn sind verärgert und drohen mit dem Vermieter, denn der Hund schlägt bei jedem Geräusch an ungeachtet der Tages- oder Nachtzeit. Das Ordnungsamt war auch schon mal da und es droht Maulkorbzwang, weil Dobi wiederholt Radfahrer gehetzt und auch schon Passanten gezwickt hat und ableinen kann man ihn draußen gar nicht mehr, weil er nicht nur einmal hinter Reh oder Wildkaninchen her ist und stundenlang verschwunden war. Aber das Spielzeug zuhause ist modern, das Hundebettchen modisch und Dobi hat 35 handgeschneiderte Halsbänder im Schrank.

Nicht viel anders läuft es bei dutzend anderen Hunderassen. Egal ob Border Collie, Malinois, Weimaraner, Aussie, Parson Russel Terrier oder, oder, oder…. Viele Hundehalter suchen sich ihren hübschen (gerne auch exotischen) Hund nach optischen Eindrücken aus, picken sich aus dem hunderte Worte langen Standard ein oder zwei aus dem Zusammenhang gerissenen Begriffe heraus, die rechtfertigen sollen, dass diese Rasse vom Charakter genau ideal für sie ist.

Doch leider enttarnen gerade Rassen mit Arbeitshintergrund die große Lüge von „wir haben die Rasse wegen ihrem Charakter ausgesucht“ sehr schnell und nachhaltig. Besonders bizarr wird es dann, wenn die Schuld für Probleme bei der seriösen Zucht und der Zuchtrichtung der Rasse gesucht wird. „Wir finden den XY ja so eine tolle Rasse, der Charakter ist so klasse, aber den für die Jagd zu züchten ist verantwortungslos, das braucht doch kein Welpenkäufer mehr“.
Zu erklären, dass sich der Charakter einer Rasse über die Eigenschaften definiert, die sie für ihren Gebrauchseinsatz benötigt (hat), ist dabei in der Regel müßig. Viele sind der Überzeugung, dass sich Charaktereigenschaften im luftleeren Raum bilden und eben einfach da sind. Egal, wie unsinnig die Idee den Charakter von der Aufgabe der Rasse loslösen zu wollen, auch sein mag, für viele Hundehalter ist es ganz normal geworden.

Und so werden auch weiterhin hunderte Hilfesuchende die Hundeschulen und online Portale bevölkern und einem im Brustton der Überzeugung die Lüge „Wir haben uns wegen dem Charakter für diese Rasse entschieden“ erzählen.


Dienstag, 24. Mai 2016

Karriereende nach der letzten Blende




Einer hat es vorgemacht und viele wollten folgen. Die Medienauftritte als Sprungbrett für eine erfolgreiche Hundetrainerkarriere hat wohl in Deutschland niemand so geschickt genutzt, wie Martin Rütter. Schon in einer Zeit, als Tierformate im TV noch Seltenheitswert hatten, startete er mit der Dokureihe „Eine Couch für alle Felle“ im WDR und folgenden Formaten den medialen Siegeszug, der seine Karriere stützte- und nebenbei ordentlich dazu beitrug, dass solche Sendungen zum Publikumsliebling wurden.

Nun, rund zwanzig Jahre nach Beginn dieser Erfolgsgeschichte, boomen Tierformate. Egal ob abendfüllende Reportagen, tägliche oder wöchentliche Dokusoaps oder Miniserien in Nachrichten- und Morgenmagazinen, wer etwas auf sich hält als Mediensendeanstalt, macht Hund und Co regelmäßig zum Thema in seinem Programm. Für diese Beiträge braucht man allerdings auch zwei- und vierbeinige Hauptdarsteller, die man nicht aus den eigenen Reihen rekrutieren kann und da der Zuschauer gerne „echte“ Geschichten aus dem richtigen Leben sehen möchte, nutzen auch Schauspielschüler und Filmtiere nicht viel.
Überall in den sozialen Netzwerken, in diversen Internetforen und auf den Senderhomepages tauchen regelmäßig Anzeigen auf. Produktionsfirma xy sucht Hund und Halter für bestimmtes Format oder einen Beitrag. Diesen Aufrufen folgen dann nicht nur private Tierliebhaber, die sich und ihren Liebling einmal im Rampenlicht präsentieren möchten, sondern auch viele Gewerbetreibende rund um den Hund. Egal ob Hundetrainer, Tierphysiotherapeut, DogWalker, Züchter, Hobbyvermehrer, Groomer, Hundetagesstättenbetreiber oder sonstiger Dienstleister oder Verkäufer aus dem Hundesektor, gesucht wird fast alles von findigen TV-Machern und es finden sich auch aus allen Sparten immer genügend Freiwillige, die dem Kamerateam Einblick in ihr Leben und ihre Arbeit gewähren. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn ein paar gratis Sendeminuten auf einem großen Sender in denen man hin und wieder beiläufig den Namen des Unternehmens erwähnen oder auch mal mehr mal weniger plakativ das eigene Logo mit Firmennamen ins Bild drücken kann, sind schon eine sehr verlockende Idee und versprechen gute Werbung.
Also lässt man das Kamerateam für einen Tag anrücken, gibt sein bestes, sich, seine Überzeugungen und seine Tätigkeit im besten Licht zu präsentieren, wartet gespannt auf den Ausstrahlungstermin und erlebt dann oftmals das böse Erwachen.
Um eine Hundetrainerin zu zitieren, die dieses „Abenteuer“ gerade hinter sich gebracht hast: „Das hatten wir uns ganz anders vorgestellt.“

Denn sehr oft wird vergessen, dass das Publikum den eigenen Auftritt im TV nicht nur positiv aufnehmen muss, sondern es auch durchaus negative Stimmen bis hin zum Shitstorm geben kann. Die Auslöser dafür können vielfältig sein. Selbst bei harmlosen Themen schafft es nicht jeder sich authentisch und sympathisch vor der Kamera zu präsentieren, das Scheinwerferlicht liebt eben nicht jeden. Bei kontroversen Themen wird die Sache noch heikler, da man sehr schnell zwischen die Fronten fanatischer Befürworter und Gegner gerät. Richtig kritisch wird es allerdings, wenn man sich auf die derzeit so modernen Vergleichsformate einlässt, bei denen zwei – möglichst konträre – Denkungsrichtungen gegenübergestellt werden. In einem solchen Format wird es immer einen Verlierer geben und die Chancen stehen fünfzig-fünfzig, dass man selbst auf der Verliererseite steht.
Anders als bei den großen Namen oder einfach nur bei Personen, die im Mittelpunkt der Serie stehen, hat der ausstrahlende Sender bei den austauschbaren Mitwirkenden nicht das Bestreben, sie auf jedem Fall in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Selbst als ein Martin Rütter noch eher unbekannt war, stand die richtige Präsentation im Vordergrund, da er die Serie tragen sollte und somit zum Sympathieträger werden musste, damit die Zuschauer auch zu den nächsten Folgen wieder einschalten.
Bei Formaten in denen heute der Hundesalon von Lieschen Jedermann, morgen die Hundeschule von Heiner Allerwelt und übermorgen die Dackelzucht von Susi Sonderbar beim ersten Tierarztbesuch gezeigt wird, gibt es dieses pauschale Bemühen, einen festen Sympathieträger zu etablieren nicht.  Die Hauptdarsteller wechseln schnell und die Zuschauer sollen einfach nur einschalten und über die Sendung reden. Ob sie das tun, weil die Person in dem Beitrag sympathisch und kompetent ist oder, weil man sich auf Grund getroffener Aussagen in den sozialen Medien in endlosen Diskussionen über die Unfähigkeit der gezeigten Person ergeben kann, ist der Sendeanstalt dabei vollkommen egal.

Für eine Privatperson mag es ans Ego gehen, wenn man im Internet bis zur nächsten Folge und bis zum nächsten „Opfer“ verbal zerrissen wird, für den Gewerbetreibenden kann es schnell auch an die Existenz gehen. Man hatte sich ein bisschen kostenlose Werbung erhofft und plötzlich lassen sich hunderte fremde Menschen darüber aus, dass man als Groomer vollkommen ungeeignet sei, so wie man im Beitrag die Schere gehalten habe, niemand seinen Hund zu einem in Pension geben darf, so schmutzig wie das im Fernsehen aussah oder man mit der Einstellung doch nie im Leben Hunde trainieren dürfte.
In manchen Köpfen hält sich noch immer hartnäckig der Glaube, jede Publicity sei gute Publicity. Dieser Merksatz dürfte allerdings nur noch für F-Klasse Promis und Pornosternchen gelten. Für ein Kleinunternehmen ist eine solche Schlammschlacht eine Katastrophe, die sich auch auf dem Konto niederschlagen dürfte.

Die Meisten werden sich von diesem Tiefschlag mit viel Arbeit wieder erholen, auch wenn in den Tiefen des WorldWideWeb immer die vernichtenden Kritiken umherschwirren werden und der ein oder andere potentielle Kunde auch in Jahren noch von ihnen vergrault werden wird. Dennoch sollte man an das Wagnis TV-Auftritt gut überlegen und nicht so naiv sein zu glauben, durch den Besuch einer Produktionsfirma die Erfolgsgeschichte eines Martin Rütters für sich selbst reproduzieren zu können.


Dienstag, 17. Mai 2016

Thomas Baumann - Früh übt sich



Unser zwölftes Buch

Thomas Baumann hat mit „Früh übt sich, Praxisratgeber zum Umgang mit Welpen und Junghunden“ ein neues Welpenbuch herausgebracht, dass sein bisheriges Werk „Was Hündchen nicht lernt…“ ablösen soll.
 
Ich muss gestehen, ich bin hin- und hergerissen. Betrachten wir das Buch einmal ganz für sich allein, ohne das Wissen, dass Baumann bereits zuvor ein Buch zur Welpen- und Junghunderziehung veröffentlicht hat.

Den Einstieg macht Baumann mit einem allgemeinen Überblick über die Hund-Mensch-Beziehung, schneidet das Thema Prägung an, bietet ein paar fachliche Ratschläge zum Welpenkauf und warnt vor Leben und Erziehen nach Pauschalurteilen. Nach ein paar Tipps für die ersten Tage und die Eingewöhnung, wendet sich Baumann dem erzieherischen Gegenwirken bei aufkommenden Problemverhalten zu. Anhand von mehreren ausführlichen Beispielen wird auf verschiedene Ausprägungen von Aggression und Unsicherheit eingegangen. Der Autor erklärt gut verständlich mögliche Auslöser für Problemverhalten, zeigt anhand der Beispiele Lösungswege und warnt vor gern gemachten Fehlern in diesen Situationen.
Auch der alltäglichen Erziehung ohne Problemhintergrund widmet Baumann sich in diesem Buch. Hinzu kommen Überlegungen zum Streit „Geschirr oder Halsband“ und Gedanken zur Auslastung des Hundes. An dieser Stelle kann sich Baumann mal wieder die Eigenwerbung für sein ZOS Programm nicht verkneifen.
Den Abschluss bilden Überlegungen zum Thema Welpenschule. Baumann gibt dem interessierten Welpenbesitzer noch ein paar Punkte mit an die Hand, an denen er eine geeignete Welpenschule erkennen kann und welche Veranstaltungen er meiden sollte.

Für den interessierten Leser, egal ob Erstwelpenkäufer oder Wiederholungstäter wäre „Früh übt sich…“ ein uneingeschränkt empfehlenswertes Buch, wäre da nicht…. Ja, wäre da nicht Baumanns erstes Welpenbuch „Was Hündchen nicht lernt…“
Bereits 2003 hat Baumann dieses Buch veröffentlicht. Statt einer Neuauflage, folgte nun „Früh übt sich…“ und irgendwie hat diese Entscheidung einen leichten Beigeschmack. Das neue Buch bietet inhaltlich genau genommen, keinen Vorteil. Es ist länger (doppelt so viele Seiten) enthält aber keine weiterführenden Aussagen als das Alte. Es ist nicht moderner in seinen Ansätzen und Ausführungen und behandelt auch nicht mehr Themengebiete. Auch geht es trotz mehr Worten nicht tiefer in die Materie als „Hündchen…“. Es bietet mehr Beispiele, die aber keinen wirklichen Informationsgewinn bringen, mehr Bilder und das natürlich zu einem deutlich höheren Preis. Hinzukommt, dass in Baumanns erstem Buch noch wohltuend auf die jetzt allgegenwärtige Werbung für Baumanns neuentwickelte Trainingskonzepte verzichtet wird.

„Früh übt sich…“ Ist ein Buch, dass man jedem Welpenkäufer schon vor dem Welpenkauf empfehlen kann. Außer er hat die Möglichkeit eine gut erhaltene Ausgabe von „Was Hündchen nicht lernt…“ zu erwerben. In dem Fall würde ich immer zum Kauf des Klassikers raten.

Als nächstes auf der Leseliste
Nina Miodragovic – „So denkt ihr Hund mit“