Donnerstag, 28. April 2016

Kleine Prüfung - Großes Drama




Die diesjährige Prüfungssaison steckt gerade in den Kinderschuhen, die ersten Termine liegen schon hinter der Hundlerwelt, der Großteil steht noch bevor und schon ist es wieder in vollem Gange, das alljährliche Drama rund um die Begleithundeprüfung (BH).
 
Für viele ist die BH einfach nur eine Prüfung, die man eben vor Prüfungs- und Turnierstarts einmal ablegt. Keine große Sache, sie gehört eben einfach dazu. Für andere ist es ein klassisches Drama in fünf Akten aus den verschiedensten Gründen. Die erste Gruppe sieht in der BH ein schier unüberwindbares Hindernis, zu hohe Anforderungen, mit einem jungen Hund nicht zu schaffen. Von vielen Agility Interessenten wird ein Fass aufgemacht, weil man die Prüfungsinhalte in ihrer Sportart später nie wieder braucht und es verschwendete Trainingsmühe ist und wiederum andere meckern, weil sie ihren Junghund in der UO nicht vorstellen möchten, bevor das Ergebnis so perfekt ist, wie sie es gerne hätten. Wiederum andere empfinden die Prüfung schlicht als sinnlos für ihren Alltag.

Für alle die sich noch nicht mit der BH auseinandergesetzt haben, eine kurze Zusammenfassung dessen, worüber jedes Jahr aufs Neue heftige Diskussionen entbrennen. Den Anfang macht die Unbefangenheitsprobe bei der Chipkontrolle. Der Hund soll nicht in Panik abhauen oder den Richter beißen, so ziemlich alles zwischen diesen Punkten wird geduldet.
Die Unterordnung nach Schema beginnt mit der Leinenführigkeit 50 Schritte gerade aus, eine Kehrtwendung, 10 Schritte normales Tempo, 10 bis 15 Schritte Laufschritt, 10 bis 15 Schritte langsames Tempo, danach in normalem Tempo zurück zum Ausgangspunkt, dort im 90 Grad Winkel nach rechts abbiegen, nach 15 Schritten noch einmal im 90 Grad Winkel nach rechts abbiegen, nach 15 Schritten kehrtmachen und nach ein paar weiteren Schritten anhalten.
Danach geht es in die Gruppe, vier Personen, die in der Gegend rumstehen, zwei davon werden mit Hund umrundet, man hält einmal in der Gruppe an und schon hat man die Leinenführigkeit hinter sich.
Danach folgt das komplette Schema noch einmal ohne Leine, die so genannte Freifolge. Den Abschluss machen die Sitz- und Platzübung. Der Hundeführer geht 10 bis 15 Schritte, hält an, lässt den Hund Sitzen und entfernt sich 15 weitere Schritte. Auf Anweisung des Richters geht es zurück zum Hund. Bei der Platzübung entfernt sich der Hundeführer 30 Schritte und ruft den Hund anschließend zu sich.
Damit wäre das Schema auch schon durch, davor oder danach steht noch die Ablage unter Ablenkung auf dem Plan, sprich der Hund soll ruhig liegen bleiben, wären ein zweites Hund-Halter-Team das Schema läuft. Mit dem Verkehrsteil bei dem im Grunde auch jeder besteht, der seinen Hund soweit unter Kontrolle hat, dass dieser nicht abhaut oder Passanten und andere Tiere anfällt, ist das Hexenwerk BH auch schon vollbracht.

Ein Satz vorweg an all jene, die jammern, dass die BH ihnen im Alltag keinen Vorteil bringt. Stimmt! Dafür ist und war diese Prüfung nie gedacht. Auch wenn findige Hundeschulen die teuren BH-Kurse gerne an die Familienhundehalter verkaufen, die BH/VT ist die Einstiegsprüfung in den Sport. Wer einen gut erzogenen Familienhund möchte, der nicht an der Leine zieht und auf Abruf kommt, sollte ein anderes Training wählen. Einziger Vorteil, den die BH bringen kann, ist, dass ein Nachlass bei Hundesteuer oder Versicherungsbeiträgen möglich ist. Allerdings hängt das von der jeweiligen Gemeinde bzw. dem Versicherungsanbieter ab.

Der „oh mein Gott, das kann man doch nie schaffen“ Fraktion sei gesagt, lasst euch doch nicht von den Schauermärchen verschrecken. Was wird für das Bestehen der BH großartig verlangt? Der Hund soll etwa 10 Minuten neben euch herlaufen, euch vielleicht mal anschauen, halbwegs fröhlich wirken, Sitz und Platz machen, nicht abhauen und niemanden fressen. Es wird nicht verlangt, dass der Hund die ganze Unterordnung lang in absoluter Perfektion mit seiner rechten Schulter am linken Knie des Hundeführers klebt, ständigen Blickkontakt hält und im Malistechschritt durch die komplette Prüfung trabt. Wer behauptet, er sei durch die Prüfung gefallen, weil der Hund ab und an beim Fuß gehen durch die Gegend geschaut hat und in den Winkeln vorgeprellt oder zurückgefallen ist, lügt einfach und verschweigt größere Fehler.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich gern an eine Dame deren BH-Prüfung ich damals im DVG zugesehen habe. Bis zum heutigen Tag erzählt die Dame jedem der es hören will, dass ihr Hovawart nicht dauerhaften den Blickkontakt gehalten hat und in den Winkeln etwas vom Bein weggedriftet ist und das damals für den Richter genug gewesen sei, um sie durchzufallen lassen. Ich habe das Richterblatt zwar nicht gesehen und war nur Zuschauer, denke aber, die Tatsache, dass er Hund in der Freifolge abgehauen ist, den anderen Hundeführer angesprungen, gegen die Kletterwand gepinkelt und versucht hat, den Besuchern den Kuchen vom Teller zu fressen auch etwas mit der Entscheidung des Leistungsrichters zu tun gehabt haben könnte. Ist aber natürlich nur reine Mutmaßung meinerseits.

Dann wären wir auch schon bei der „die BH bringt uns nichts für unsere Sportart“ Leuten. Diese unterteilen sich nochmal in zwei Gruppen. Einmal hat man hier die „in anderen Ländern brauchen die keine Zulassungsprüfung und es funktioniert auch“ Argumentierer und dann noch die „wir wollen eine eigene Prüfung, die auf unsere Sportart abgestimmt ist“ Forderer.
Zu Ersteren… ich muss gestehen, ich habe von anderen Sportarten im Ausland wenig Ahnung. Keine Ahnung ob es da wirklich so einwandfrei funktioniert oder ob Chaos herrscht oder ob einfach andere Gegebenheiten dafür sorgen, dass nicht Hinz und Kunz meint, mit seinem schlecht ausgebildeten Hund aufs Turnier zu rennen. Meiner Meinung nach muss man sich nicht immer am gemeinsamem Minimalstandard orientieren. Man kann in anderen Ländern auch ohne Gesundheitsuntersuchungen züchten, geht auch irgendwie, ob es ein nachahmenswertes Beispiel ist… ich wage es zu bezweifeln.
Für die „wir wollen eine eigene Prüfung“ Fraktion, habe ich ein kleines Gedankenspiel. Wir stellen uns jetzt einfach vor, diesem Wunsch wird entsprochen. Die IPO Sportler behalten ihre BH/VT, die Agilityleute bekommen ihre eigene Prüfung, die Obedience Starter bekommen eine, Flyball Spieler ebenso und für die DogDancer gibt es nochmal eine eigene Prüfung (müssen die eigentlich die BH/VT machen für die Starts? Keine Ahnung, aber auch egal). Da die einzelnen Prüfungen genau auf die Anforderungen der verschiedenen Sportarten abgestimmt sind – wie vielfach gewünscht – werden die Zugangsprüfungen auch nur für den jeweiligen Turnierstart anerkannt. Sprich mit der Agilitystartberechtigung gucke ich beim Obedienceturnier in die Röhre und mit der BH/VT kann ich zwar weiter IPO machen, aber fürs Flyball muss ich für die Erlaubnis zum Turnierstart nochmal antreten. Mag auf den ersten Blick kein Problem darstellen, wenn man sich auf eine Sportart spezialisiert hat. Man darf aber nicht vergessen, dass immer mehr Sportler das Angebot wahrnehmen und durchaus dual starten. IPO und Agility, Agility und Obedience, keine ungewöhnlichen Kombinationen und für alle würde der Starter zwei separate Prüfungen benötigen. Die Frage ist, ob man sich hier nicht interessierte Starter vergrault.
Der andere Punkt bei diesem kleinen Gedankenexperiment… die BH/VT kann ich im Grunde genommen in jedem Nachbardorf ablegen. Doch für eine spezielle Prüfung brauche ich auch einen speziellen Leistungsrichter. Jetzt wird aber die SV OG die ausschließlich IPO Sport im Training anbietet, zur Frühjahrsprüfung kaum einen Agilityleistungsrichter einladen, der die Vorprüfung zum Agility abnehmen darf. Sehe ich mich in der Umgebung um, fallen für Agility, Obedience, Flyball, etc. viele Möglichkeiten weg, die Turnierzulassung zu erringen, weil diese Prüfung an den entsprechenden Terminen – an denen derzeit problemlos die BH/VT mitgelaufen werden kann – nicht angeboten werden. Die meisten Vereine, die kein IPO mehr betreiben hier in der Region, bieten sowohl Agility als auch Obidience an. Und nun? Darf und kann der Agilityleistungsrichter die Zulassungsprüfung im Obidience fach- und sachkundig prüfen? Lädt man zur Prüfung zwei Richter ein? Oder wird dann wieder nur eine Prüfung angeboten? Sprich, es gibt weniger Möglichkeiten die Prüfungen abzulegen. Wer an Termin X nicht soweit oder sonst wie verhindert ist, muss warten oder weitere Wege auf sich nehmen, um zu einem passenden Zeitpunkt die entsprechende Prüfung laufen zu können
Kurzgefasst, eine spezielle Zulassungsprüfung bedeutet eine Menge Mehraufwand für den Sportler.

Da stellt sich einem am Ende dann doch einfach wieder die Frage, ist diese kleine Prüfung das große Drama wirklich wert? Oder ist es nicht doch einfach weniger Aufwand und Stress die BH/VT zu laufen und sich eben damit abzufinden, dass diese zehn Minuten Fuß laufen zum Einstieg in den Hundesport immer noch dazu gehört?

Dienstag, 26. April 2016

Vaterkomplex






…oder „Ein Plädoyer für die Hündin“.

Wir leben in einer Männerwelt und interessanter Weise, sieht es in der Hundezucht nicht anders aus. Die ganze Hundewelt scheint einen riesigen Vaterkomplex zu haben.  Beworben wird ein Wurf fast immer über den (oft namhaften) Vater, wenn man sich über einen Hund erkundigt, fragt man zuerst nach dem Vater, immer nur Vater, Vater, Vater….
 
Auf die Spitze getrieben hat diesen Vaterkomplex die Pferdezucht. Wer einmal Verlaufsanzeigen für Pferde gelesen hat, den beschleicht sehr schnell das Gefühl, dass man hier die Mutter komplett abgeschafft hat. Beworben wird ein Pferd mit dem Vater, dem MV (Muttervater) als dem Großvater mütterlicherseits und auch noch dem MMV, dem Vater der Großmutter mütterlicherseits. Manchmal stößt man noch auf die Werbung mit dem „Mutterstamm“. Aber anders als bei den Hengsten zählen hier nicht die einzelnen großen Namen und Leistungen, sondern das genetische Kollektiv, das dahintersteht.

Ganz so extrem ist die Lage in der Hundezucht noch nicht, aber es beschleicht einen auch hier immer wieder das Gefühl, als sei die Hündin nur notwendiges Übel zur Zucht, auf das man keinen besonderen Wert bei der Auswahl legen muss. Oftmals beschleicht einen das Gefühl, dass mit dem gezüchtet wird, was man eben gerade hat und da auch schlicht bereit ist, bei der Hündin Abstriche zu machen, während die Anforderungen an den Rüden umso höher sind.

Auch auf die Ausbildung legt man bei der Zuchthündin nicht denselben Wert, wie beim Deckrüden. Ich habe mir einmal die Zeit genommen und diesen Sachverhalt in einer kleinen Statistik zusammengefasst.
Ein Wort vorweg: Mir ist bewusst, dass diese kleine Erhebung nicht wissenschaftlich valide ist und dass der ein oder andere auch an der Vorgehensweise herummeckern wird. Ich habe mich an Tag X (genau genommen dem 15.04.2016) hingesetzt und habe in der Zuchtdatenbank von Working Dog die ersten hundert eingetragenen FCI Zuchten für die drei betrachteten Rassen (DSH, Dobermann, Malinois) genommen und die vorhandenen AKZ von Rüde und Hündin gezählt. Berücksichtigt habe ich hierbei nur IPO, Ringsport und KNPV – man möge mir verzeihen, dass ich französisch, belgisch Ring und Mondio einfach zusammengezählt habe. Nicht miteingerechnet habe ich nationale Zuchttests, Wesenstests, Teilprüfungen der IPO oder auch die IPO VO, ebenso wenig die Talentsichtung. Des Weiteren fielen Hunde unter die Rubrik „ohne weiterführendes AKZ“ die als „Security Dog“ oder „Diensthund im Wachschutz“ betitelt wurden oder als „geführt in XY“ oder „in Vorbereitung auf XY“ – meist mit dem Hinweis auf die unglaubliche Härte des Hundes und des Problems ihn auf Prüfungen zu führen – beworben werden, ohne dass ein AKZ jenseits der BH/VT oder einer BGH eingetragen ist. Und man möge mir verzeihen, dass ich bei den vier KNPV Hunden auf eine genauere Unterscheidung verzichtet habe.

Beim Deutschen Schäferhund zeigte sich die Kluft zwischen Rüde und Hündin am Deutlichsten. 78 der Deckrüden hatten eine IPO III, während nur 26 Hündinnen soweit ausgebildet waren. 37 Hündinnen waren mit IPO I in der Zucht, acht Stück hatten die IPO II und 29 hatten kein weiterführendes Ausbildungskennzeichen. Zum Vergleich waren nur zehn Rüden ohne AKZ als Deckrüden eingesetzt worden, acht hatten eine IPO I und vier die IPO II. Bevor an dieser Stelle schon die ersten Beschwerden kommen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in Deutschland und Österreich die IPO I zur Zuchtzulassung gehört, in anderen FCI Ländern aber auch der DSH nicht zwingend ein AKZ für die Zucht benötigt.
Beim Dobermann zeigt sich ein ähnliches Bild, allerdings mit einer – für einen Gebrauchshund – erschreckenden Entwicklung bei den Hündinnen. Hier waren insgesamt 56 ohne weiterführendes AKZ in der Zucht. Bei den Rüden waren es immer noch 24, allerdings hatte man auch bei immerhin 55 Rüden die IPO III in der Leistungsurkunde stehen, während nur 24 Hündinnen soweit ausgebildet waren. Zwölf Rüden und elf Hündinnen hatten eine IPO I, je acht Tiere beiderlei Geschlechts hatten die IPO II und je ein Hund beiderlei Geschlechts hatte Ring/Mondio Kat.2.
Der traurige Spitzenreiter in Sachen „schlechtere Ausbildung für die Zuchthündin“ belegte in dieser kleinen Stichprobe der Malinois mit 62 Hündinnen ohne weiterführendes AKZ. Bei den Rüden waren es 29 Stück, während 41 Deckrüden eine IPO III aufwiesen. Bei den Hündinnen waren es nur 23. Je vier Hunde beiderlei Geschlechts hatten die IPO I und je sechs die IPO II. Ein Rüde wurde mit Ring/Mondio Kat.1 und drei mit Ring/Mondio Kat.2 aufgeführt. In Ring/Mondio Kat.3 waren 13 Deckrüden und vier Hündinnen vertreten, sowie drei Rüden und eine Hündin mit KNPV.

Eine Menge Zahlen, die leider den Eindruck erhärten, dass man bei der Hündin leider oftmals nur das Allernötigste für die Zuchtzulassung erarbeitet und man sie dann in der Zucht verschwinden lässt.
Es ist schade, dass man immer noch so wenigen Hündinnen die Chance gibt, ihr wahres Potential zu zeigen. Leider legen aber auch viel zu wenige Welpenkäufer wirklich wert auf die Mutterhündin. Gesucht wird immer nach dem nächsten Wurf des einen oder anderen Rüden, manchmal driftet man auch schon in Richtung der Pferdezüchter ab und sucht auch die Mutter nach ihrem (möglichst) namhaften Vater.

Wie uns schon der Biologieunterricht der 9. Klasse lehrte, 50% des genetischen Materials steuert die Mutter bei. Nicht zu vergessen, dass die Mutterhündin in der Regel das einzige Elternteil ist, das direkten Einfluss auf die Entwicklung der Welpen nach der Geburt hat. Der Deckrüde ist meist nicht vor Ort und so kann sich die Nachzucht nur am Verhalten der Mutter orientieren. Eine unsichere und gestresste Hündin ist eine denkbar schlechte Begleitung für den Nachwuchs bei seinen ersten Schritten ins neue Leben.  Daher sollte man sich ebenso viel Mühe bei der Auswahl und Ausbildung der Zuchthündin geben, wie bei der des Deckrüden.

Bleibt zu hoffen, dass sich wieder mehr Züchter und Welpenkäufer darauf besinnen, dass es bei der Zucht nicht nur auf den Deckrüden ankommt und man sich nach und nach vom herrschenden Vaterkomplex lösen kann. 

Mittwoch, 13. April 2016

Udo Gansloßer (Hrsg.) – Hunde aus dem Ausland



Unser elftes Buch.
 
In der Reihe „Expertenwissen für Hundeprofis“ hat Herausgeber und Autor Udo Gansloßer eine Artikelsammlung rund um das Thema „Hunde aus dem Ausland“ veröffentlicht. Hundetrainer, Tierärzte und Kynologen befassen sich in Beiträgen von unterschiedlicher Länge mit den Bereichen Gesundheit, Tierschutz vor Ort, Herkunft der Straßenhunde und weiteren Themen rund um die Hunde aus dem Ausland.
 
Den Beginn macht ein Erfahrungsbericht der Tierärztin Sophie Strodtbeck, die aus eigener Erfahrung die negativen Folgen einer unüberlegten „Rettung“ eines Hundes für Tier und Halter beschreibt. Immer mit einem kleinen Augenzwinkern, aber doch stets mit den richtigen Worten für die Dramatik der Situation schildert sie die Erlebnisse und Entbehrungen, die nichts mit der von vielen Tierschützern gerne beworbenen Idylle mit den dankbaren und pflegeleichten Südländern zu tun haben.
Weitere Artikel beschäftigen sich mit der sozialen Struktur der Straßenhunde in den Ursprungsländern und der Frage, ob und bis wann es diesen Tieren möglich ist, sich aus diesem Umfeld wieder in die menschliche Obhut zu begeben und sich dort an die Anforderungen des Lebens als Familienhund anzupassen. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich diese beiden Artikel von Gansloßer als die schwächsten im Buch empfinde. Sie sind zwar sehr wissenschaftlich geschrieben, beschränken sich aber bei der Frage des „Hundes aus dem Ausland“ ausschließlich auf die wirklichen Straßenhundpopulationen und lassen dabei die deutlich vielfältigeren Herkunftsmöglichkeiten der Auslandshunde im Tierschutz außer Acht.
Deutlich interessanter und auch für Interessenten wertvoller empfinde ich hier den Artikel von Gerd Leder, der sich mit der Frage nach der Herkunft und ursprünglichen Aufgabe der Hunde beschäftigt. Ausgehend von den einzelnen Ursprungsländern, arbeitet er auf, aus welchen Aufgabengebieten, die Tiere im Großteil der Fälle stammen, welche Hundetypen und Rasseeigenschaften man am Häufigsten antrifft und was das für den künftigen Halter bedeutet.
Sehr umfangreich setzt sich Jennifer Jensen mit den medizinischen Aspekten und Risiken des Imports auseinander. Auch wenn Viele an dieser Stelle mit den Augen rollen dürften, weil sie den „kranken Auslandshund“ als abgenutztes Klischee sehen, ist es wohl eines der wichtigsten Themen. Die Autorin geht im Einzelnen auf die typischen „Südländererkrankungen“ ein, behandelt aber auch Parasiten und das Sticker Sarkom in ihren Ausführungen. Dabei wird nicht blind Panik verbreitet, sondern sehr objektiv darauf eingegangen, wie die Krankheiten erkannt und behandelt werden können, wie sie übertragen werden und ob die Gefahr einer Ansteckung durch importierte Hunde besteht.
Nach einem kurzen Artikel zum Arbeitsschutz und einem weiteren Beitrag zu „trainieren und leben mit Auslandshunden“ schließt das Buch mit einem umfassenden Bericht von Elke Deininger und Katrin Umlauf zur Hilfestellung und Populationskontrolle vor Ort. In ihrem Beitrag „Zur Tierschutzproblematik der so genannten Straßenhunde im Ausland“ beschreiben sie am Modellprojekt Odessa, wie Tierschutz im Ausland nachhaltig sein kann. Anhand von Langzeitbeobachtungen und Diagrammen erläutern sie, wieso weder das Einfangen und Vermitteln noch die oft durchgeführten Tötungsaktionen wirklich einen Einfluss auf die Straßenhundpopulation nehmen können und konnten und präsentieren das Kastrationsprogramm, das nach langen Verhandlungen in Odessa begonnen und mit Erfolg weitergeführt wird. Durch das Einfangen, Kastrieren und wieder in ihrem ursprünglichen Revier Aussetzen der Straßenhunde konnte das Wachstum der Population zuerst zurückgedrängt werden und dann allmählich ein stetiger und stabiler Rückgang verzeichnet werden.
 
Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass sich „Hunde aus dem Ausland“ in erster Linie kritisch mit dem Thema „Einfuhr ausländischer Tierschutzhunde“ auseinandersetzt. Wer nette Geschichten von dankbaren, geretteten Hunden erwartet, wird hier enttäuscht werden, ebenso wenig bietet das Buch eine Anleitung zur Adoption eines Hundes aus dem Ausland. Wer sich jedoch mit den Grundlagen des nachhaltigen Auslandstierschutzes, den Mittelmeerkrankheiten und den rassegeschichtlichen Hintergründen der Auslandshunde vertraut machen möchte, dürfte hier eine gute Basis finden.

 
Als nächstes Buch auf der Leseliste:
Thomas Baumann – Früh übt sich, …