Samstag, 11. Februar 2017

Die Erben des Barons und ihre Hunde




Jeder liebt seine Hunde und in der Regel ist der eigene Vierbeiner selbstverständlich der Tollste und Beste der ganzen Welt. Vor diesem Hintergrund ist es bisweilen durchaus verständlich, dass man manchmal dazu tendiert, die Realität etwas zu beschönigen, weil man den geliebten Hund durch die rosarote Brille sieht. Doch der ein oder andere schießt dabei weiter übers Ziel hinaus, als der Durchschnitt und so finden sich immer öfter Hundehalter, die adliges Blut in ihren Adern zu haben scheinen, nämlich das des großen Barons Münchhausen.

Die Hunde dieser Welt scheinen nur noch in Superlativen zu leben. Sie sind die Schönsten, die Klügsten, die Gesündesten oder aber die Schwierigsten, die Stursten und die Unberechenbarsten. Normal oder Durchschnitt ist ausgestorben oder zumindest so stark verpönt, dass niemand mehr einen solchen Hund zu besitzen scheint.
Der Collie dessen Großmutter einmal ein Beißkissen über eine Wiese getragen hat, ist ein viel ernsterer Gebrauchshund als alle anderen und selbst die Malinois der bekannten Sportler sollten sich vor ihm in Acht nehmen. Der Dobermann aus den Kleinanzeigen, der nicht anständig an der Leine gehen kann und aggressiv auf Passanten reagiert, ist noch ein „richtiger“ Hund. Der zwölf Wochen alte Aussie der durch den Tunnel gestolpert und nicht von der Welpenwippe gefalle ist, ist das absolute Naturtalent und der nächste Agility Worldchampion. Aus jeder noch so unbedeutenden Kleinigkeit wird ein achtes Weltwunder geformt und dem Hund eine ganz besondere Zukunft orakelt. Andere Hunde wechseln gerne regelmäßig die Abstammungsrassen ihrer Mischungen, um noch besonderer und vor allem ganz anders, als alle anderen Hunde zu sein.

Für denjenigen, der sich diese ganzen Wunderdinge anhören muss, mag es in den meisten Fällen lästig sein und wenn die nächste Anekdote vom künftigen Mulitchampion-Tripple-World-Winner in spe zum Besten gegeben wird, rollt man meist genervt mit den Augen und schickt einen kleinen Stoßseufzer gen Himmel, dass sie doch bald enden möge. Natürlich ist auch der Halter selbst, nicht nur einfacher Hundehalter. Er ist entweder das geborene Wunderkind, das schon noch einer Woche mit seinem Hund alles weiß, was es rund um Hunde zu wissen gibt und nichts mehr lernen kann, weil er auch das Können mit der Luft eingeatmet und verinnerlicht hat, von der Minute an, in der er sich entschieden hatte, einen Hund ins Haus zu holen. Oder man ist der alte Hase, der Profi, der schon Profi war, als alle anderen großen Namen noch mit Plüschhunden spielten, schon Jahrzehnte lange Erfahrungen mit jeder Hunderasse und jedem Mischling gemacht hat und vom Familienwelpen bis zum verhaltensgestörten Beschädigungsbeißer alles erziehen kann. Allerding sind diese Realitätsverschiebungen in der Regel harmlos für Hund und Halter. Der Halter kann sich geschmeichelt fühlen, weil er einen so begabten Hund mit so vielen Talenten jenseits des Durchschnitts hat und allein das Wissen darum reicht, dass er niemandem etwas beweisen muss. Wozu auch die Zeit für Prüfungen und Turniere in einer Sportart verschwenden, wenn der Hund doch in sieben gleichzeitig zeigen kann, dass er alle Disziplinen beherrschen würde. Außerdem führt man auch keine davon weitergehend aus, weil das den Menschen mit den viel normaleren Hunden gegenüber unfair wäre. Oder man hat eben einen von den viel krasseren Hunden, den echten alten Dobermann aus der liebevollen Familienaufzucht oder den voll schwierigen IPO Collie, mit denen nicht jeder Mensch umgehen kann und die unbedingt einen fähigen Halter brauchen, der sie durch den Alltag führt. Aber auch hier sieht das Ganze in der Realität wesentlich harmloser aus, als es sich in den Geschichten anhört. Der vollkrass harte Ausnahmehund lebt sein beschauliches Familienleben, wie jeder andere und der Hundehalter fühlt sich gut dabei, dass er den zur absoluten Herausforderung erklärten Familienfiffi problemlos im Griff hat. Der Hund lebt sein Leben und der Halter streichelt das eigene Ego.

Die Abstammung vom Freiherr Baron zu Münchhausen könnte also für die Beteiligten eigentlich harmlos sein und für Außenstehende zwischen belustigend und nervig schwanken, wäre da nicht die dunkle Seite der Geschichte. Jene Hundehalter, die sich nicht an nicht vorhandenen Talenten erfreuen und stolz auf die erfundenen Besonderheiten ihrer Hunde sind, sondern die, die sich über nicht wirklich vorhandene Probleme und Störungen verrückt machen. Da wird aus dem jungen Leistungswelpen der im Spiel aus Übermut mal die Hand des Sohnes erwischt und einen kleinen rosa Abdruck auf der Haut hinterlassen hat, schnell ein kinderzerfleischendes Monster, das man nicht mehr frei in der Wohnung rumlaufen lassen kann. Ein Hund, der mit einem halben Jahr mangels vernünftigem Trainings immer noch nicht zuverlässig stubenrein ist, wird auf einen Tierarztmarathon geschleppt und ein anderer wird in den ersten zwei Lebensjahren beinahe ein dutzend Mal in Narkose gelegt, um ein Röntgenbild nach dem anderen zu machen und zur Sicherheit noch eine handvoll CTs anzuschließen, weil man sich sicher ist, dass der Hund schwer am Bewegungsapparat erkrankt ist und nicht nur fünf Tritte schräg lief, weil der Kieselstein zwischen den Pfotenballen gepiekst hat.
Sowohl beim Besitzer als auch beim Hund birgt dieses Verhalten hohes Risikopotential. Beim Hund erzeugt es unnötigen Stress durch ungerechte Behandlung für angebliches Fehlverhalten oder zu häufige Tierarztbesuche mit vielen oftmals unnötigen Untersuchungen. Das Zusammenleben wird zum Horror für alle Beteiligten und der Traum vom Hund entwickelt sich schnell zum Alptraum. Die Antwort, dass in vielen Fällen das eigentliche Problem das Verhalten des Hundebesitzers ist und der dadurch verursachte Stress alle Symptome erklären kann, wird in den seltensten Fällen angenommen und mit guten Absichten, aber schlicht zu wenig Wissen stürzen sich die Hundehalter in ihrer Münchhausentraumwelt in die Abwärtsspirale, die gleichzeitig durch die Aufmerksamkeit, die meist unweigerlich mit der Schilderung des gemeinsamen Leidensweges einhergeht, eine perfide Selbstbelohnung mit sich bringt.
Je dramatischer die Geschichten, je größer das Leiden und je schwerwiegender die Opfer, die man für das Zusammenleben bringen muss, sind, desto schneller und stärker wächst in der Regel die Anerkennung und der Zuspruch, den man von außen erfährt. Auf die Stimmen, die zur Vernunft raten und versuchen aufzuzeigen, dass vieles, was als Drama erlebt und ausgelebt wird, vollkommen normal ist, wird selten gehört. Zu groß ist der Applaus aus den umgebenden Reihen dafür, dass man sich aufopfert und der mysteriösen Krankheit auch den nächsten Familienurlaub opfert und trotz der schlimmen Verhaltensstörung nicht aufhört an das Gute im Hund zu glauben.
Die Zuwendung von Fremden wiegt schwerer als der Leidensdruck der Situation und so wird manch gesunder Hund krank untersucht und viele normale Hunde bis zur Verhaltensstörung therapiert, weil sich die Hundehalter in ihren eigenen Fantasiewelten verrennen.

Und während man über viele Auswüchse aus dem Leben der Hunde der Erben des Baron Münchhausen nur schmunzeln und sich fragen kann, ob die Besitzer ihre eigenen Fantasiegebilde noch glauben, bleibt einem bei vielen Geschichten das Lachen im Halse stecken und man hofft nur noch, dass Hund und Halter das Ganze mit möglichst relativ geringen Schäden und Physis und Psyche überstehen werden.