Dienstag, 27. November 2018

Zwo, Eins, Risiko



Es fing an mit einem dieser Facebook „bitte votet für mein Foto“ Gewinnspiele. Eine Bekannte schickte mir den Link zu einem Foto ihres Hundes. Wir alle kennen diese spektakulären Sprungfotos, bei denen sich der Hund in der Luft verdreht und verrenkt und halb überschlägt. Ich finde diese Bilder ganz furchtbar, weil ich nie verstehe, dass man dieses Verletzungsrisiko nur wegen eines Fotos in Kauf nimmt. Genau mit dieser Begründung, habe ich das Vote für das Foto auch abgelehnt und eine Diskussion sondergleichen vom Zaun getreten und das entrüstete Fazit daraus lautete: Man kann einen Hund doch nicht ständig in Watte packen.
Nein, das kann man wirklich nicht. Hund muss Hund sein dürfen und manchmal kann es einfach in Situationen dumm laufen, doch ich frage mich immer wieder, wann sich die grenze zwischen „in Watte packen“ und „unnötige Risiken eingehen“ dermaßen verschoben hat, dass man bisweilen Zweifel am gesunden Menschenverstand hegt.

Der Titel dieses Eintrages stamm von einem Helden meiner Kindheit. Mit diesem Spruch stürzte sich Darkwing Duck, der Schrecken der die Nacht durchflattert, jede Woche 91 Episoden lang in halsbrecherische Abenteuer. Doch seit den 90er Jahren scheint Darkwings Motto auch irgendwie zur Lebenseinstellung vieler Hundehalter geworden zu sein.
Das Risikoempfinden scheint sich komplett verschoben zu haben. Es wird auf jedes Detail geachtet, jeder noch so unwahrscheinliche Zufall bis ins Letzte durchdacht, den großen GAU der sich aber direkt vor den eigenen Augen anbahnt, den scheinen die Leute nicht mehr wahrzunehmen.
Hundespielzeug wird bis ins letzte Molekül untersucht. Nicht unbedingt auf Verletzungsgefahr oder verschluckbare Kleinteile, sondern auf das Material. Enthält der Kunststoff Weichmacher? Ist das Seil mit pflanzlichen Farben aus biologischem Anbau gefärbt? Wurde das Spielzeug mit positiver Umweltbilanz in den Laden transportiert? Besteht die Gefahr, dass es beim Transport oder bei der Lagerung mit bedenklichen Stoffen in Berührung kam?
Können diese Fragen nicht zur absoluten Zufriedenheit beantwortet werden, wird das Spieli lieber im Regal liegen gelassen. Aber wenn Hundi beim Spaziergang einen Stock aufsammelt, darauf herumnagt und damit durch die Walachei rennt, ist die Welt in Ordnung. Maul-, Hals- und Rachenverletzungen durch Stöcke sind ja nur Gruselgeschichten, der eigene Hund macht das schon immer so und es ist noch nie etwas passiert. Splitter im Zahnfleisch, Nagetierurin und Vogelkot am stock sind auch halb so wild, man kann den Hund ja nicht in Watte packen…. Wir erinnern uns, wir reden hier von demselben Hund bei dem man Bedenken hatte, er könne durch das Ablecken eines (Marken)Spielzeugs aus dem Tierbedarf schweren gesundheitlichen Schaden nehmen.

Bleiben wir gleich beim Gassigehen… Früher trug Hund dafür einfach ein Halsband aus Leder oder eine Kette. Viel zu gefährlich in der heutigen Zeit. Man weiß nicht womit das Leder gegerbt wurde, von welcher Tierart ist das überhaupt und generell sind Halsbänder sowieso gesundheitsschädlich und bedeuten einen frühen, qualvollen Tod für Hunde. Hat man ja mal so in den Tierschutzgruppen bei Facebook gelesen. Also muss es ein Brustgeschirr sein. Aber es muss die richtige Form haben, damit es nicht zu schweren Verletzungen der Knochen und Gelenke führt – ja wir reden hier immer noch vom Gassigehen und nicht davon, den Hund am Geschirr aufzuhängen oder hinter dem Auto her zuschleifen. Dornschnallen sind generell gefährlich, damit kann sich der Hund verletzen, wenn er sich irgendwie den Dorn in die Flanke rammt. Steckschließen sind aber auch mit Vorsicht zu genießen. Die Plastikvariante muss sorgfältig auf das Material geprüft werden, damit keine giftigen Stoffe aus dem Kunststoff angegeben werden und Metallschließen können Nickel enthalten. Alles furchtbar gefährlich und muss unbedingt vermieden werden. Gleiches gilt für das Material der Gurte. Sie dürfen nicht scheuern, aber nicht zu weich sein, damit sie nicht verrutschen. Sie dürfen nur aus nachvollziehbaren Quellen stammen, nur mit 100% unbedenklichen Farben gefärbt sein und idealerweise sind sie vegan und mit „rettet die Welt“ Gütesiegel versehen, damit man auch ja kein Risiko für den Hund eingeht, Die Welt ist nämlich Nebensache, aber was gut für die Welt ist, könnte gerade gut genug für Wuffi sein. Und dann marschiert mal los mit seinem absolut ungiftigen, körperschonenden und antiallergenem Geschirr und lässt Hund drei Meter entfernt von der Bundesstraße leinenlos am Grünstreifen schnuppern, während Autos und LKWs an einem vorbei donnern. Leine braucht man nicht. Der Hund hört ja und es ist in seinem zweieinhalb Jahre langem Leben auch noch nie etwas passiert. Man muss da doch nicht so hysterisch sein und dem Hund alle Freiheit durch Leinenzwang an der Straße nehmen.

Nein, man sollte Hunde nicht in Watte packen. Aber man sollte irgendwo auch wieder eine gesunde Relation zwischen echtem Risiko und Spleen finden. Es werden Inhaltslisten beim Futter studiert und auf alles Mögliche verzichtet, weil es ja unter Umständen irgendein Problem geben könnte, das Risiko von Zahnverletzungen bei großen Beinknochen aber verleugnet. Es wird der Sporthund durch ein ausgeklügeltes Warm-up auf jeden Schritt Fußlaufen vorbereitet und danach vom Physiotherapeuten wieder einmassiert, aber für ein dummes Foto nimmt man klaglos einen Überschlag, verstauchte Gelenke und verletzte Sehnen in Kauf.
Der Mensch im Allgemeinen und der Hundehalter im Speziellen hat in der modernen Zeit ein unglaubliches Talent dafür entwickelt, sich in höchstunwahrscheinliche Gefahrenszenarien hineinzusteigern und reale Risiken auszublenden. Bleibt zu hoffen, dass man sich nicht zu sehr in dieser Entwicklung verrennt.



Mittwoch, 21. November 2018

Prof. med. vet. M. Christine Zink – Fitnesstraining für Hunde


Unser 23. Buch

Viele medizinische Titel springen einen als Erstes entgegen, wenn man dieses Buch aus dem Müller Rüschlikon Verlag zur Hand nimmt. Die Autorin legt Wert darauf, dass man auch sieht, dass sie Ahnung von der Materie hat und dem Leser die anatomisch-physiologischen Grundlagen, Kraft- und Ausdauertraining, Ernährung und Stressmanagement für Hunde fachlich versiert nahebringen kann.
So startet das Buch auch mit der Bedeutung der körperlichen Grundlagen und detaillierten Aufführungen aller möglicher Körperteile und ihrer Bedeutung für den Sport. In vielen Bereichen ist dies sehr interessant und lehrreich. So wird darauf eingegangen, welche Vorteile bestimmte Körperformen haben. Wie ist der ideale Traber gebaut? Welcher Körperbau eignet sich besser für schnelle Sprints? Welche Vorteile und Nachteile haben bestimmte Winkelungen oder Kopfformen? Manche Aussagen kommen einem etwas eigenartig vor. Ob die langen Ohren des Bassets wirklich die Riechleistung verbessern, weil sie mehr Geruchspartikel aufwirbeln, will ich jetzt nicht wirklich beurteilen müssen. Und manches wirkt leider schon zu Beginn als Füllstoff. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Hund mit Leber- oder Nierenproblemen keine Leistung bringen kann. Ob man den Organen der Bauchhöhle bei der Thematik „Einfluss des Körperbaus auf die Leistung“ mehrere Seiten widmen muss, ist aber fraglich.
Ein ähnliches Bild bietet sich beim Kapitel zur Auswahl des richtigen Sporthundes. Der „nature vs nurture“ Exkurs ist noch leidlich interessant und durchaus für das Thema relevant, die Auflistung der einzelnen Entwicklungsstufen des Welpen ist dann bereits wieder grenzwertig. Wo ich persönlich wieder aussteige, ist die Empfehlung der Welpentests. Ich bleibe dabei, dass ich jeden Züchter verstehen kann, der Welpeninteressenten vor die Tür setzt, die anfangen Welpen zu zwicken und auf Töpfen rumzutrommeln, um zu testen, wie die Welpen reagieren. Sehr bedenklich finde ich auch den recht unkritischen Umgang mit dem Thema der Kastration.
Leider geht es auch sehr unspezifisch weiter. Bei Ernährung und Pflege des Sporthundes wird es sehr oberflächlich und könnte so auch in jedem beliebigen Ratgeber stehen. Kurze Hoffnung schöpft man bei Kapitel „Training des Sporthundes“. Es wird auf die Wichtigkeit des Warm-ups eingegangen und auch das Cool down angesprochen Doch leider wird das Thema sehr kurz abgehandelt, nur vereinzelte Anregungen für Trainingspläne und Übungen für Kraft- und Ausdauertraining gegeben und auch hier bleibt alles sehr nah an der Oberfläche.
Um so mehr Platz räumt man dann auf den nächsten 80 Seiten allen möglichen Krankheiten ein. Auch wenn sie laut den Kapiteltiteln immer in Zusammenhang mit dem Sport gestellt werden, ist es wieder ein allgemeines Sammelsurium an chronischen und akuten, genetischen und erworbenen Erkrankungen. Zwar wird immer wieder darauf eingegangen, in wie weit man mit der Erkrankung den Hund noch im Sport führen kann – wobei ich die Aussage, dass man nach einer HD oder Bandscheiben OP durchaus noch Sport machen kann, mehr als bedenklich finde – aber am Ende hat man eben doch nur eine Aneinanderreihung von allen möglichen Erkrankungen über HD und Bandscheibenvorfall über CEA und Herzfehler bis hin zu von Willebrand und Allergie. Angeschlossen wird noch ein wieder recht allgemeines Kapitel über Arzneimittel, ihre Wirkung und in wie weit die körperliche Verfassung und auch Rasse Einfluss darauf nehmen können und dass manche Medikamente immer wieder zu Probleme bei bestimmten Rassen bis hin zur Vergiftung führen können. Das Thema Doping wird nur kurz angeschnitten und auch das abschließende Kapitel zu Stress und Stressvermeidung kommt leider viel zu kurz.

Und so entpuppt sich leider wieder eines der Fitnessbücher für Sporthunde als unausgegorene Mischung von Kauf- und Pflegeberatung mit Überblick über gängige Erkrankungen, in die ab und an das Wort „Sporthund“ eingefügt wurde.

Als Nächstes auf der Leseliste:
Viviane Theby – Verstärker verstehen