Unser erstes Buch – naja eigentlich ist es eher ein
Heftchen, aber dazu später mehr – dreht sich um unseren Sport, den IPO
Sport. Aufmerksam wurde ich auf Jörg
Tschentschers „Kommando: Voran!: Der Schutzhundesport im Fokus“ durch einen –
zwischenzeitlich gelöschten - Aufruf auf Facebook in dem Herr Tschentscher
ausgebildete IPO Hunde für eine Art Wesenstest suchte.
Neugierig geworden stöberte ich auf Amazon nach dem in
der Ankündigung erwähnten Buch und wurde auch schnell fündig. Der Werbetext
versprach ein Werk „Fachkundig und abseits jeder Polemik. An Fakten orientiert
und mit investigativem Spürsinn entstand diese interessante Ausarbeitung.“
Immer an einer sachlichen Diskussion zum Thema Sport
interessiert, drückte ich den Bestellknopf. Erst danach fiel mir auf, dass ich
gerade 12,99€ für gerade einmal 80 Seiten „Buch“ bezahlt hatte. Na ja, kein
Beinbruch. Sachliche Abhandlungen neigen oft dazu mit kleinem Schriftbild und
ohne Bilder eine Menge Inhalt auf wenige Seiten zu bannen und Fachtexte neigen
selten zum Schwafeln und verzichten gerne auf Füllsätze.
Am nächsten Tag lag das Heftchen im Briefkasten und
bereits die Hoffnung auf das Layout wurde enttäuscht: Großes Schriftbild, größere Absätze und noch
größere Abbildungen. Bereits der Blick auf das Cover lässt die ersten Zweifel
an der Objektivität aufkommen. Neben einer Schäferhund Silhouette ziert ein Stachelhalsband eingebaut als O im
Wort „Fokus“ den Buchdeckel. Das Vorwort einer Psychologin und freien Autorin
schlägt in dieselbe Kerbe. So wir bei der Frage nach den Assoziationen beim
Wort Schutzhundesport der Fokus sofort
weg vom Sport zum Hamburger Beißunfall gelenkt, bei dem der kleine Volkan
getötet wurde. Plötzlich ist die Rede von „zerfetzten Kindergesichtern“ (Seite
6). Die Antwort, was zwei im Hinterhof illegal scharf gemachte American
Staffordshire Terrier mit dem IPO Sport zu tun haben, bleibt die Dame dabei
schuldig. Der Gedanke an das totgebissene Kind, bleibt jedoch im Hinterkopf.
Ebenso kryptisch setzt Autor Tschentscher das Buch fort
und eröffnet mit einer Anekdote in der ein Riesenschnauzer einen seiner Hunde
angriff. Auch hier wird die Relevanz für das Thema IPO nicht wirklich klar.
Macht der Autor die IPO Ausbildung verantwortlich für das
aggressive Verhalten?
Glaubt der Autor der angreifende Riesenschnauzer hätte
anders reagiert, wäre er im Agility geführt worden?
Unterm Strich ist es für den unvoreingenommenen Leser
eine unglückliche Begegnung eines kleinen Hundes mit einem aggressiven
Artgenossen, dessen Eigentümer veraltete Ansichten zum Thema Sozialverhalten
hatte und der die Kontrollierbarkeit und Aggressionsbereitschaft seines Hundes
beim Anblick kleinerer Artgenossen falsch eingeschätzt hatte. Nicht schön, aber
nichts von alle dem besitzt einen pauschalen Kausalzusammenhang mit dem IPO
Sport.
Weiter geht es mit Gesetzestexten unter anderem dem
Hinweis, dass es laut Gesetz verboten ist, Tiere auf Menschen zu hetzen. Es ist
auch gesetzlich untersagt andere Menschen mit Fäusten zu schlagen. Macht man
dies jedoch in einem festgelegten Raum unter Aufsicht eines Richters, nennt man
es nicht mehr Körperverletzung sondern Boxen und es wird zum anerkannten Sport.
Generell beschleicht einen bei der Wortwahl immer wieder das Gefühl, dass der
IPO Sport bereits in den ersten beiden Kapiteln an die Grenzen der Illegalität
geredet wird. Wiederholt ergehen subtile Andeutungen, Vereine und Dachverband
würden versuchen etwas zu verbergen…. Nur um es noch einmal in Erinnerung zu
rufen, im Verkaufstext wurde eine sachliche Abhandlung ohne Polemik
versprochen. Schon auf den ersten 20 Seiten wurde dieser Vorsatz bereits
mehrfach gebrochen.
Auch beim Thema Gehorsam in Kapitel 3 geht es im selben
Tenor weiter. Die Unterordnung wird per se schon fast als eine Art Strafaktion
dargestellt und nicht als wichtiger Teil der sportlichen Prüfung angesehen.
Tschentscher unterstellt, dass die meisten IPO Sportler noch immer nach der Devise
„nicht geschlagen ist genug gelobt“ arbeiten. An dieser Stelle überlegt man als
aktiver Sportler, ob der Herr die letzten Jahre mal einen IPO Platz betreten
hat…. Denn wenn man so überlegt, was der durchschnittliche Trainingskollege an
Equipment mit sich herumschleppt, das ausschließlich für die Belohnung sorgt –
begonnen vom einfachen Ball über TopMatic, Ballwurfmaschinen und
Futtermaschinen – muss man bei dieser Aussage dann doch mal kurz und herzlich
lachen. Zwar kommt wie immer nach 20 Sätzen in denen geschildert wird, wie
schrecklich Unterordnung und das zugehörige Training doch ist, ein Halbsatz zur
Relativierung des Ganzen, dass doch mancher langsam beginnt anders zu
trainieren. Ist man jedoch ein etwas unaufmerksamer Leser, geht dieser schnell
unter.
Generell treibt die Sparte Unterordnung den Autor zu
recht eigenartig anmutenden Assoziationen. So geht der erste Diskurs zum Milgram
Experiment und schließlich geht der Vergleich zum DDR Bürger der sich eines
Tages gegen seine Unterdrückung gewehrt hat und dies sei auch beim IPO Hund im
Alter zu erwarten….
Ja ich musste das Kapitel mehrmals lesen, um Herrn
Tschentschers Argumentation hier folgen zu können. So wie ich es verstanden
habe, ist Unterordnung per se eine gewaltsame Unterdrückung des Hundes gegen
die er sich früher oder später auflehnen wird. Der moderne Hund ist jener der
in Symbiose lebt und kein Interesse daran hat, für den Menschen zu arbeiten. Denn
es gibt wohl immer wieder unzählige alte Schutzhunde die sich auflehnen und
aggressiv werden.
Öhm ja…
Schon fast ironisch wirkt es dann, dass der Autor am Ende
des Kapitels das Grundgesetz zur Würde des Menschen zitiert. Eigentlich will er
den Bogen über Bekoffs Erkenntnisse zur Würde des Hundes schlagen, doch mich
beschleicht nach diesem Text immer mehr das Gefühl, dass Tschentscher die unantastbare
Würde zwar dem Hund, aber wohl nicht dem IPO Sportler zuspricht. Denn in nur drei Kapiteln ist man schon
mittendrin im Gewirr aus Unterstellungen und Anklagen und den immer wieder
süffisanten Seitenhieben – ich sage nur „Sichtschutzzaun“.
Um den Reigen der Vorurteile fortzusetzen geht es weiter
mit den üblichen Starkzwangmitteln, die selbstverständlich nur in der IPO zu
finden sind (Vorsicht Ironie) und Herrn Tschentschers etwas verschobener
Vorstellung vom Aufbau des Schutzdienstes. Nein, der Hund wird nicht so lange
mit dem Softstock geschlagen, bis er aggressiv nach vorne geht und die
gespaltenen Klapperstöcke werden nicht im IPO sondern im Ringsport verwendet,
hier wäre es angebracht, seine Recherchen ordentlich zu machen.
Das angesprochene Rangreduktionstraining hat nichts mit
IPO zu tun, sondern ist ein etwas bizarres Erziehungsmodell das aus der „modernen“
Hundeerziehung stammt, weil Ignorieren ja die humanste und einzig erlaubte
Strafe sein soll.
Zum Abschluss des vierten Kapitels gibt es noch einmal
eine ausführliche Auflistung möglicher Starkzwangmittel und Strafvarianten, die
– wie wir ja alle wissen – nur in der IPO vorkommen, denn kein Kleinhundehalter
hebt seinen Hund an der Leine hoch und auch Mischlingshalter nutzen nie
Moxonleinen, wenn der Hund zieht…. Falls sich an dieser Stelle jemand
beschweren möchte, anders als der Autor habe ich nie versprochen, dass dieser
Text nicht polemisch werden wird!
Die Theorie, dass der Canide von Haus aus zur
Konfliktvermeidung neigt, ums ich selbst zu schützen, mag für Wildhunde und
verwilderte Hunde zutreffen. Der Haushund, der mit allen Ressourcen im
Überfluss versorgt wird, geht hier gern andere Wege. Ein Fakt den Ray Coppinger
in seinem Buch „Hunde“ sehr aufschlussreich anhand der aufeinandertreffenden
Populationen von Haushunden und Straßenhunden in Mexiko behandelte.
Und erneut muss in Kapitel 5 der Tod des kleinen Volkans
in Hamburg als Argument gegen den IPO Sport herhalten. Im Anschluss kommt mein
persönliches Liebling“problem“, eine Befürchtung die ich schon aus Kindertagen
als Anti-IPO Argument kenne und die ich schon als 9jährige nicht verstanden
habe. Nämlich die Gefahr, der Hund könne einen Gipsarm als Hetzarm missdeuten
und herzhaft zupacken….
Wir trauen unseren Hunden so viel zu, nur zwei Kapitel
weiter vorne verwies Tschentscher auf Becoff der die emotionalen und kognitiven
Fähigkeiten in diversen Artikeln und Büchern beschreibt und auf einmal ist der
Hund doch wieder nur ein dummes triebgesteuertes Tier, das den Unterschied
zwischen dem Training mit Figuranten und den Passanten mit der Gipsschiene auf
dem Bürgersteig nicht unterscheiden können soll?
Und es gibt gleich die nächste Batterie an Vorurteilen
hinterher…. IPO Hunde leben im Zwinger, meistens auch noch allein, Spaziergänge
gibt es nicht, nur zweimal die Woche zum Hundeplatz, kein Kontakt zu
Artgenossen, Maulkorb, Unterordnung, so lange durch den Helfer bedrohen und
schlagen bis er beißt und durch diese Vermischung aus sozialer Isolation, dem
Aufbau der Aggression und Förderung des Beuteverhaltens werden sie gefährlich.
Die Hunde können nicht auf Decken schlafen, weil sie diese aus Stress zerreißen
und deshalb haben so viele IPO Hunde Liegeschwielen und am Ende des Absatzes
brummt dem Leser der Schädel, weil man sich fragt, wie man so viele Klischees
auf nur eine Seite packen und im Brustton der Überzeugung behaupten kann, sie seien
Standard.
Die anschließende Erkenntnis, dass große ungestüme Hunde
für Kinder generell gefährlich werden können, einfach auf Grund des Kräfteverhältnisses,
ist nichts Neues und trifft genau so auf den Agility Hund zu. Aber mal wieder
liegen solche Probleme nur im IPO.
Man bekommt bei Tschentschers Beschreibungen immer mehr
den Eindruck, der normale IPO Hund lebe in einer Blase, die komplett von der
Außenwelt abgeschirmt ist, ein Sportgerät, das man am Ende des Trainings
einfach in eine schwarze Kiste sperrt und unter dem Bett verstaut, bis es
wieder zum Hundeplatz geht. Mag sein, dass es diese Hunde auch heute noch gibt.
Sieht man sich aber nur ein bisschen in der realen Welt um, sieht man die IPO
Hunde beim Spaziergang mit der ganzen Familie und danach auf der Couch
schlafen. Die Zeiten der „Maschine Hund“ sind vorbei, schon allein deswegen,
weil man mit diesen Tieren keinen Blumentopf mehr gewinnen kann, weil die
Richter heutzutage etwas anderes in der Prüfung sehen wollen. Ja die
Argumentation ist arbeitsgebunden, denn die Tatsache, dass auch IPOler ihre
Hunde schlicht lieben, wird einem doch eh niemand glauben.
Zu Herrn Tschentschers Schlussfolgerung zur Anzahl der beziehbaren
Maulkörbe für Schäferhunde sage ich einmal nichts. Das gleiche gilt für die
Sache mit der Beißstatistik…. Herr Tschentscher nennt in seiner Literaturliste auch
die Dissertation von Dr. Roman Mikus der sich mit der Auswertung von Sachverständigengutachten
nach Beißvorfällen beschäftigt hat. So führt Herr Tschentscher auf, dass hohe
Welpenzahlen nicht zwangsläufig das Auftreten in der Beißstatistik in höheren
Rängen bedingen. Als Beispiel nennt er den Dackel, der trotz hoher Wurfzahlen nur
unter ferner liefen in der Statistik auftaucht. Hätte Herr Tschentscher die
Dissertation genau gelesen, hätte er eine Antwort auf seine Frage. Dr. Mikus
schlussfolgert, dass Beißvorälle mit kleinen Rassen auf Grund der geringen
Verletzungen schlicht seltener angezeigt werden, als Vorfälle mit großen
Hunden. Doch auf solchen Umwegen möchte der Autor wohl nicht denken. Der hohe
Rang in der Beißstatistik erklärt sich durch die Ausbildung, der Deutschen
Schäferhunde.
Woher die Überzeugung kommt, dass man neben der zwei
Stunden IPO die Woche die restlichen 166 der Woche nicht anteilig nutzen kann,
um dem Hund das Alltagsleben nahe zu bringen, ist mir unbegreiflich.
Sehr schön sind auch die Beschreibungen der Hundeführer
die „solche“ Hunde führen und ausbilden. Im Grunde ist der durchschnittliche
IPO Hundeführer nach dieser Auflistung eine Pfeife, die entweder zu wenig
Selbstbewusstsein hat, ein Brutalo der seinen Hund unterdrücken will, ein
Ewiggestriger der gerne Polizeihund spielt und seinen Hund auf Leute hetzen
möchte oder ein Feigling der vom großen Hund zu seinem Schutz träumt.
Kurzum ein Dummkopf der keine Ahnung von seinem Hund und
dessen Bedürfnissen hat. Wie war das noch gleich mit der Würde des Menschen…
ach ich vergaß, das gilt ja nicht für IPO Sportler.
Im vorletzten Kapitel wird dann noch einmal tief in die
Klischeekiste gegriffen und die „Ansichten“ der Bevölkerung geschildert. Von
den Medien geprägte Bilder von zerfleischten Kindern und zähnefletschenden
Schäferhunden werden heraufbeschworen, der IPO Sportler als „Gruppierung am
Rande des Gesellschaft“ gesehen. Denn mit einem IPO Hund ist man offensichtlich
ein Aussätziger in der heutigen Gesellschaft. Hierarchien sind per se etwas Böses
und die Tatsache dass Anfänger sich Dinge erarbeiten müssen und sie ihnen nicht
von alleine in den Schoß fallen, wird auch kritisiert. Natürlich kommt auch der
obligatorische Sichtschutzzaun wieder in die Kritik und auch das Vereinsleben ist
anscheinend per se ablehnungswürdig und nur dazu gedacht, den Mitglieder eine
Gehirnwäsche zu verpassen und sie am selbstständigen Denken zu hindern.
Nur zur Erinnerung wir sprechen immer noch über
Hundesportvereine und nicht über Scientology.
Natürlich kommt am Ende erneut das Plädoyer für den
charaktersicheren Alltagshund und erneut bleibt Herr Tschentscher die Antwort
schuldig, wieso dies zwar beim Agility Hund und auch beim modernen Obidience
Hund möglich sein soll – wir erinnern uns in Kapitel 3 war die Unterordnung
noch eine Art Nemesis – aber nicht mit dem IPO Hund.
…und am Ende sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle
Fragen offen.
Mir ist bewusst, dass das Buch aus bestimmten Richtungen
mit Lob nur so überschüttet und von allen IPO Gegnern als „großer Durchbruch“
gefeiert werden wird. Fachkundig und ohne Polemik war hier jedoch leider
nichts. Es gab erneut die Aneinanderreihung der üblichen Vorurteile und
Unterstellungen, garniert mit ein paar Spitzen gegen Sport und Sportler. Nichts
Neues auf den überteuerten bedruckten 80 Seiten, die Herr Tschentscher hier
abgeliefert hat, aber es trifft den Zeitgeist und wird sich reißend verkaufen,
da bin ich sicher. So lange Hund in der Öffentlichkeit nur die reißende Bestie
oder das treudoofe Kinderspielzeug sein kann und nichts dazwischen, wird man
sich wohl weiterhin mit solchen unreflektierten Abhandlungen auseinandersetzen
müssen.
An dem Tag an dem sich ein Kritiker wirklich objektiv mit
dem Thema auseinandersetzen möchte, denke ich steht jeder aktive Sportler gerne
für eine konstruktive Diskussion zur Verfügung. So lange aber nur Herrn
Tschentscher „Kommando: Voran!“ in den Bücherregalen steht, gehe ich in Ruhe
für unsere Prüfungen trainieren und amüsiere mich darüber, dass diese Rezension
fast genau so viele Zeichen enthält wie das Buch selbst, aber nur die Hälfte an
Rechtschreib- und Grammatikfehlern.
Sehr schön geschrieben und danke dafür, dass ich mir die 12,99 sparen konnte und den besseren Text lesen durfte... ;)
AntwortenLöschen