Mit 288 Seiten hat Hellmuth Wachtel hier sicher nicht das
größte, aber doch eines der bedeutendsten Bücher über die moderne Hundezucht
vorgelegt. Bereits der Einband hebt sich von den zurzeit modernen
Zuchtratgebern ab, kein Bild einer Hündin mit ihren niedlichen Welpen auf dem
Einband, dafür Schlagworte wie „genetisches Management“, „Populationsgenetik“
und „erbgesunde Hunderassen“. Schon von diesem Punkt an zeigt das Buch, dass es
sich nicht die typische leichte Kost handelt. Wachtel präsentiert seinem Leser
einen anspruchsvollen Text mit komplexen Inhalten, den man nicht schnell
zwischendurch querliest und alles Interessante quasi im Vorbeigehen mitnehmen
kann. „Hundezucht 2000“ zeigt sich als wissenschaftlicher Text für den
interessierten Hundefreund.
Als Hauptthema zieht sich ein flammendes Plädoyer gegen
die immer noch so selbstverständlich genutzte Inzucht. Dabei hat es Wachtel an
keiner Stelle nötig polemisch oder verletzend zu werden, sondern verlässt sich
ganz auf die Wirkung der präsentierten wissenschaftlichen Fakten.
Wachtel arbeitet die genetischen Hintergründe
systematisch auf und benennt die Gefahren und Irrtümer rund um die Linienzucht
im Allgemeinen und um die exzessiv betriebenen Formen im Speziellen auf.
Besonders vehement verwehrt sich Wachtel gegen die
Behauptung, es gäbe ein sicheres oder gar notwendiges Niveau der Inzucht in der
heutigen Rassehundezucht. Er benennt die Folgen des ständig fortschreitenden Allel
Verlusts durch fortgesetzte Engzucht und verdeutlicht anhand von Beispielen,
wieso eine einmalige Outcross Verpaarung nicht ausreichend sein kann, um den
genetischen Schaden wieder zu beheben. Hart ins Gericht geht der Autor auch mit
den in allen Rassen verbreiteten Populare Sires.
Äußerst erschreckend empfindet der Autor, dass selbst
Zuchtanfängern immer noch zur Linienzucht als Mittel der Wahl zu greifen, um zu
Beginn möglichst wenig Fehler zu begehen. Wachtel gibt zu bedenken, dass jede
Linienzucht eine weitere Einschränkung des Genpools zur Folge hat und der Erhalt
genetischer Vielfalt innerhalb der Rasse, die Voraussetzung für Gesundheit und
Anpassungsfähigkeit ist. Für ihn ist die Rettung des Rassehundes nur in einer Abkehr
von den aktuellen Zuchttrends mit ihren Populare Sires und dem hauptsächlichen
Augenmerk auf Showerfolge und Mode zurück zu alten Wegen für mehr Gesundheit
und Leistung in Kombination mit neuen Methoden machbar. Wachtel bemängelt, dass
in der modernen Hundezucht die falschen Merkmale als Selektionskriterien
herangezogen werden. So wird die Perfektion der Optik oftmals über die bessere
Gesundheit und Leistung gestellt. Wie früher kommen auch heute nur wenige Hunde
in die Zucht, doch während es früher in erster Linie jene waren, die stark und
gesund genug waren, die ersten Lebensjahre zu überstehen, sind es heute in der
Regel jene, die dem Menschen am besten gefallen.
Wachtel plädiert für eine stärkere Gewichtung von
Gesundheit und Leistungsfähigkeit in Kombination mit der Aufhebung des
Kreuzungsverbotes verschiedener Rassevarianten derselben Rasse, sowie die
Abschaffung der Farbreinzucht bestimmter Rassen. Auch soll der Erhalt der
genetischen Vielfalt bei der Auswahl der Zuchttiere von Bedeutung sein. Als perfekte
Ergänzung zu den alten Werten sieht Wachtel die Möglichkeiten der modernen
Wissenschaft. Mit der Einlagerung und dem – bei Bedarf – späteren Einsatz von
Gefriersperma bietet sich eine Chance den Verlust von Erbmaterial zu begrenzen.
Natürlich gesetzt dem Fall, dass dieses Angebot nicht nur für die ohnehin stark
im Zuchtwesen gefragten Champions genutzt werden. Eine weitere sinnvolle
Ergänzung bietet die Genetik, die nicht nur zur Entwicklung von Tests für
Erbkrankheiten hilfreich ist, sondern auch genutzt werden kann, um in kleinen
Populationen genetisch möglichst unterschiedlichen Zuchtpartner zu ermitteln.
Bei Rassen mit zu geringer genetischer Basis, die bereits
zu tief im Flaschenhalseffekt stecken, sieht Wachtel die einzige Möglichkeit
zur Rettung und zum Erhalt der Rasse in der Einkreuzung vom Fremdrassen.
Allerdings erteilt Wachtel mit seinen Ausführungen den zurzeit so angesagten
Designerrassen die rote Karte. Er warnt im Vorfeld, dass das Kreuzungsergebnis
nicht wirklich berechenbar ist und durch die Kombinationen von
unterschiedlichen Gencodes der einzelnen Hunde unerwartete Ergebnisse zu Tage
treten können. Im besten Fall kann es sich hier nur um unerwartete
Verhaltensweisen und optische Entwicklungen handeln, in extremen Fällen – die bei
Hunden selten aber dennoch vorkommen – können schwere Folgen bis hin zu
körperlicher Deformation führen. Die Einkreuzungsprojekte sind für Wachtel nur
unter strenger Planung sinnvoll, planlose Mischzucht trägt nichts zur
Rassegesundheit bei.
Der Autor empfiehlt die Einkreuzung einer nahe verwandten
Rasse – von der Verpaarung von extrem unterschiedlichen Hundetypen wird
explizit abgeraten – und die anschließende Selektion in den anschließenden
Rückkreuzungen über die folgenden drei bis vier Generationen. An dieser Stelle
plädiert er dann auch dafür, die Tiere aus diesen Nachzuchten nach einer Überprüfung
im Falle, dass sie dem Standard entsprechen als reinrassig ins Zuchtbuch
aufzunehmen. Eine ganz klare Absage erhält die derzeit in den USA immer
häufiger anzutreffende Überlegung dem Hund wieder mehr Wolfsblut einzukreuzen,
um die Gesundheit zu stabilisieren.
Als Abschluss fasst Wachtel seine Erkenntnisse nochmals kurz zusammen und fordert neben den Grundsätzen des Tierschutzes auch eine Art „Gen-Ethik“ in der Zucht zu etablieren. Zusammengefasst wirkt das vorgestellte Konzept für die Zucht von gesunden und langlebigen Hunden erschreckend simpel:
Vermeidung von Engzucht
Selektion auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit
Erhalt der genetischen Vielfalt
Keine Verschwendung von Erbgut
Vermeidung der Populare Sire Zucht
So einfach sich diese Auflistung liest, so selten wird sie in der Realität umgesetzt. Bleibt zu hoffen, dass Hellmuth Wachtels „Hundezucht 2000“ unter den Züchtern populärer wird.
Als nächstes Buch auf der Leseliste:
Helen
Zulch & Daniel Mills „Fit for Life“
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