Vor ein paar Jahren war das Barfen noch eine
Randerscheinung in der Hundefütterung, heute ist es in aller Munde bzw. in
allen Näpfen. Als ich vor gut 10 Jahren mit der Rohfütterung begann, musste man
im Grunde noch jedem anderen Hundehalter erklären, was das überhaupt ist. Jetzt
weiß jeder worum es geht – oder glaubt es zumindest – und viele haben es auch
schon probiert.
In der Theorie gefällt mir die Vorstellung, dass sich
immer mehr Hundehalter für die Rohfütterung interessieren. Doch in der Realität
jagen mir die Auswüchse die dieses Thema annimmt, kalte Schauer über den
Rücken.
Rohfütterung ist gesund und nichts wofür man studiert
haben muss, um es richtig zu machen. Aber was in der Vorstellungswelt mancher
daraus mutiert, ist schon sehr abenteuerlich. Die verschiedenen Modelle der
Fütterung mutieren plötzlich zum Allheilmittel gegen alles Übel in der
Hundewelt. Egal ob BARF, Prey-Model (und nochmal für alle zum Mitschreiben es
nennt sich PREY-Model und nicht PRAY-Model auch wenn Beten vielleicht ab und an
keine schlechte Idee wäre bei dem Irrsinn, der im Futternapf tobt) oder eine
sonstige Spielart der Rohfütterung, es ist die alleinige Antwort auf allen
Beschwerden die den Fifi plagen. Ein Tierarzt wird überflüssig, sobald
Rohfleisch im Napf liegt. Glaubt man dem geballten Wissen in diversen Online
Portalen, gibt es kein Wehwehchen, das man auf diese Art nicht heilen oder
verhindern könnte. Roh gefütterte Hunde bekommen keine Magendrehung, roh
aufgezogen beugt HD und ED vor, da Allergien alle samt und sonders nur von
Industriefutter kommen, lassen sich alle ausnahmslos ebenso mit Barf bekämpfen,
selbst Krebs lässt sich mit Rohem verhindern und auch bekämpfen. Diabetes,
Herzleiden, Niereninsuffizienz und Schilddrüsenprobleme treten ebenso wenig auf
wie Spondylose, Arthrosen und Bänderrisse, wenn man nur richtig füttert.
Die wildesten Theorien ranken sich rund um die
Rohfütterung und werden mit Vehemenz vertreten und verteidigt. Wer wagt, leise
darauf hinzuweisen, dass viele der genannten Erkrankungen eine – oftmals nicht
unerhebliche – genetische Komponente besitzt, wird niedergebrüllt. Man habe
eine Gehirnwäsche von der Futtermittel- oder der Pharmaindustrie bekommen oder
einfach zu wenig Erfahrung.
Ich habe bis jetzt vier Hunde rohernährt, zwei davon
wurden roh aufgezogen. Cauda Equina, Spondylose, Magendrehung und Krebs konnte
die gesunde Ernährung dennoch nicht verhindern. Naja, vielleicht habe ich da ja
auch nur etwas falsch gemacht…
Falsch machen ist ein schönes Stichwort, denn glaubt man
den selbsternannten Profis, kann man bei der Rohfütterung nichts falsch machen,
man muss sich nur an den natürlichen Bedürfnissen des Hundes orientieren. Man
braucht sich nicht vorab informieren, sondern kann alles rein nach Bauchgefühl
machen. Klingt gut, nur leider ist die traurige Wahrheit, dass die meisten
Leute keinen blassen Schimmer von den natürlichen Bedürfnissen ihres Hundes
haben und ihr Bauchgefühl in einer rosaroten Zuckergusscomicwelt stecken
geblieben ist. Was dabei rauskommt, wenn die Leute auf ihr Gefühl hören, kann
man ständig in den unzähligen Hilferufen verzweifelter Barf Anfänger in
diversen Foren nachlesen. Ein paar typische Beispiele gefällig? Regelmäßig
trifft man zum Beispiel auf den mysteriös abmagernden Hund. Der kleine 10kg
Mischling hat seit drei Wochen Rohfutter jetzt schon drei Kilo abgenommen und
das obwohl er jeden Tag schon ein Kilo Putenbrust aus dem Supermarkt zu fressen
bekommt und dazu Babybrei aus dem Gläschen in diversen Geschmacksrichtungen,
weil man mal gehört hat, dass Abwechslung wichtig ist. Ein weiterer Kandidat,
der immer wieder in Hilfsthreads aufschlägt, ist der verzweifelte
Hundebesitzer, der fürchtet, dass sein Hund Rohfutter nicht verträgt. Seit zwei
Monaten versucht man jetzt den Hund umzustellen und er hat einfach nur noch
Durchfall. Auf die Idee, dass man vielleicht auch etwas Anderes füttern müsste,
als nur den Pansen und die bindegewebsreichen Reste, die es gratis beim Metzger
gibt, kommt man nicht, ist ja alles roh und damit gesund. Den dritten Platz in
dieser Gruselolympiade nehmen die „Knochen müssen ja sein“ Anfänger ein. Ja,
Knochen gehören zur Rohfütterung und sind, richtig gefüttert, harmlos und
gesund. Doch immer wieder stürzen sich Anfänger ins Abenteuer Knochenfütterung
ohne den Hauch einer Ahnung. In bester Absicht wird dem Hund dann als erste
Knochenmahlzeit ein komplett fleischloser Beinknochen vorgesetzt, damit Fifi
auch ordentlich was zu kauen hat. Das böse Erwachen kommt dann in den nächsten
Tagen in Form von schmerzhaften Knochenkot – oder im schlimmsten Fall einem
Darmverschluss – wenn Hund zu viel Knochen gefressen oder gar größere Stücke
verschluckt hat.
Nein, man braucht sicher keinen Doktortitel in
Ernährungswissenschaften der Caniden und man muss auch nicht jede Zutat bis
aufs tausendstel Gramm nachrechnen und abmessen, aber man sollte sich im
Vorfeld über die Grundbedürfnisse des Hundes informieren und zumindest einmal knapp
überschlagen, wie viel man von was füttern muss, um die Bedarfswerte zu
erreichen und sicher zu stellen, dass der Hund mit allen wichtigen Nährstoffen
versorgt ist.
Wirklich interessant wird es allerdings erst, wenn es um
die Heilung kranker Hunde mittels Heilpflanzen oder sonstiger
Zusatzfuttermittelchen geht. Ja, wir erinnern uns, der rohgefütterte Hund wird
eigentlich nicht krank, aber es gibt doch Exemplare, die diese anerkannte
Tatsache noch nicht mitbekommen haben und sich trotzdem etwas einfangen. Egal
ob Erkältung, Verstauchung, Durchfall oder Arthrose, gegen alles ist ein Kraut
gewachsen. Wenn man vorbeugen möchte kann man auch gleich den Multimix aus dem
Barfladen füttern, wo sich auf 250 Gramm 40 verschiedene Kräuter in
getrockneter, gemahlener und zu Pellets gepresster Form gegen alles helfen von
Arthrose bis zu zentralnervösen Störungen. Unnötig zu erwähnen, dass diese Mikrodosierungen
der Heilpflanzen nie auch nur annähernd eine therapeutische Dosis erreichen, um
irgendetwas zu erreichen. Doch dann gibt es noch freiverkäufliche, natürliche
Mittel mit echter Wirkung und auch diese werden bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit empfohlen. Sicherlich mag man mit etwas gutem Imkerhonig
keinen Schaden anrichten, aber bei Heilpflanzen sieht es schnell anders aus.
Denn nur, weil ein Mittel natürlich und 100% pflanzlich ist, ist es nicht
automatisch harmlos. Woher dieser gefährliche Irrglaube stammt… keine Ahnung,
aber auch hier ist das gesunde Bauchgefühl abhandengekommen und alles Natürliche
wird zum Heilsbringer verklärt, immer gesund und absolut ungefährlich. Das Gift
des Grünen Knollenblätterpilzes ist auch 100% pflanzlich, ich würde mich aber
hüten, es als ungefährlich einzustufen. Sicher sind Ackerschachtelhalm,
Mariendistel, Ulmenrinde und Co nicht giftig, allerdings sollte man sich auch
hier einfach im Vorfeld über Anwendungsgebiete, Wirkungen und mögliche
Nebenwirkungen informieren und nicht davon ausgehen, dass falsch angewandte
Heilkräuter keine negativen Folgen haben können.
Es bleibt zu hoffen, dass die verirrten Rohfütterer aus
ihrer Fantasiewelt wieder aufwachen und in die Realität zurückfinden, denn die
verklärte Sicht auf Barf und Co dürfte den Hunden mehr schaden, als das
verfemte Billigindustriefutter. Durchdachte Frischfütterung wird für uns hier
immer das Mittel der Wahl bei der Hundeernährung sein. Bei dem Chaos, das im
Namen der natürlich gesunden Rohfütterung aber derzeit in so manchen Näpfen aus
schlichter Unwissenheit angerichtet wird, packt mich jedoch das kalte Grauen.