Als ich aufgewachsen bin, war der Hund der beste Freund
des Menschen und ganz speziell des Kindes. Ein glückliches Kind hatte als
besten Freund einen Vierbeiner an seiner Seite und die Medien unterstützten
dieses Bild, wo es nur ging. Timmy hatte seine Lassie, Old Jello verteidigte
die Kinder seiner Familie bis zu seinem Tod und sowohl die Fünf Freunde als auch
die kleinen Strolche wären ohne ihren vierbeinigen Begleiter nicht vollständig
gewesen.
Sieht man sich heute um, ist der Hund entweder eine
Bedrohung oder doch zumindest die direkte Konkurrenz, die Schuld am Kinderelend
ist. Dabei ist es immer seltener die Gefahr, die durch potentielle
Bissverletzungen und sonstige Übergriffe durch Hunde ausgeht. Fürchtete man
nach dem Vorfall in Hamburg vor 16 Jahren vornehmlich die Aggression bei Hunden
und sah in ihr eine Bedrohung für Kinder, ist es jetzt schon die bloße Existenz
der Tiere, die angeblich die Kinder und ihre Bedürfnisse gefährden.
Erst heute bin ich in den Untiefen von Facebook wieder
auf ein Statement gestoßen, dass mich etwas ratlos zurückließ. In einer Gruppe
die sich die „Hundefreiheit Bayerns“ auf die Fahnen geschrieben hat – immerhin haben
sich nur 50 Unterstützer in drei Jahren zusammengefunden – stellte eine Dame die
Frage: „Wie soll ich meinem Kind erklären, dass dort draußen Leute Geld für
Echtlederhalsbänder, Luxushundefutter und Hundespielzeug ausgeben, während wir
am Monatsende das Essen nicht mehr bezahlen können?“
Ob es sich hier um eine reale Person handelt oder einen
fiktiven Account, der nur die Denkungsweise der Gruppengründer stützen soll,
sei mal dahingestellt, denn solche und ähnliche Argumente findet man immer
wieder, auch im Alltag. Ich selbst habe es selbst schon ein dutzend Mal und
mehr erlebt, man unterhält sich und das Thema kommt irgendwie auf eine Ausgabe,
die man für die Hunde getätigt hat und sofort kommt als Reaktion „Findest du
das nicht übertrieben? In Deutschland gibt es Kinder, die hungern müssen."
Ein Argument, das mit dem Ausgangsgespräch so viel zu
tun hat, wie die Information, dass das Gras grün ist, wenn man nach der Uhrzeit
gefragt hat und einen meist sprachlos zurücklässt. Natürlich gibt es Leid und
Armut in Deutschland und der ganzen Welt, quer durch alle Alters- und
Gesellschaftsschichten, aber hat das wirklich etwas damit zu tun, dass irgendjemand
seinem Hund ein neues Halsband gekauft hat?
Ich habe mir vor vier Jahren einen Dobermannwelpen als
Zweithund gekauft. Seitdem habe ich immer noch den gleichen Beruf, wohne
zusammen mit meinem langjährigen Lebensgefährten in einem Haus, betreibe Hundesport,
treffe mich mit Freunden, gehe meinen Hobbies nach und natürlich gebe ich Geld
für meine Hunde aus. Eine Bekannte wurde im gleichen Zeitraum ungewollt
schwanger, hat zusammen mit dem Kindsvater einen Berg Schulden angehäuft, weil
keiner von beiden einen Schulabschluss, eine abgeschlossene Berufsausbildung
oder auch nur je in seinem Leben einen Job gehabt hätte, den er länger als die
ersten paar Wochen Probezeit durchgestanden hätte, aber beide für das neue
Familienleben ordentlich Geld ausgeben wollten. Heute ist sie alleinerziehend,
der Vater zahlt keinen Unterhalt und der Schuldenberg sitzt der arbeitslosen Singlemutter
drohend im Nacken.
Nach der Logik der Leute, die obigen Facebook Post
konzipiert und für gut befunden haben, wäre das Leben meiner Bekannten und
ihres Kindes besser, wenn ich damals vor vier Jahren nicht den Hund, sondern
ein paar Versace Pumps gekauft hätte. Kann man so einen ausgemachten Blödsinn
denn wirklich glauben?
Glaubt wirklich jemand, dass in Deutschland ein Kind mehr
und/oder gesünder zu Essen bekommt, weil ein Hundehalter am anderen Ende der Republik
seinem Fifi ab jetzt statt Bio Rinderhack nur noch Discounterfutter in den Napf
kippt? Oder wird es Kindern, die häusliche Gewalt erleben, bessergehen, wenn
Bello ab sofort jeden Tag einen Tritt in die Rippen bekommt und sein Herrchen
sich nicht mehr über moderne Erziehungsmethoden informiert?
Trauriger Weise stürzen sich auch die Medien jenseits der
sozialen Plattformen nur zu gerne auf dieses Thema und stellen dem Hund
automatisch das Kind als direkten Konkurrenten gegenüber. Selbst in den Beiträgen
der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, gehört diese Kombination zur
Standartausstattung. Wer es nicht glaubt, soll sich bei den „seriösen“
Sendeformaten einmal auf die Lauer legen. Früher oder später gibt es bei diesen
„gehobenen“ Talkrunden immer wieder ein Haustierthema oder eine kleine
Reportage, über die Deutschen und ihre Vierbeiner. Faszinierenderweise wird den
Tierhaltern neben dem obligatorischen Tierhasser – der jedoch oftmals mehr Karikatur
als ernstzunehmender Kritiker ist – immer ein Sprecher eines Kinderschutzvereins
gegenübergesetzt. In allen Fällen hat Herr X oder Frau Y vom Kinderschutzbund
der Diskussion nichts hinzuzufügen, außer gegen Ende, wenn er/sie vom Moderator
direkt zu einem Statement aufgefordert wird, auf die vielen unterprivilegierten
und vernachlässigten Kinder in unserem Land hinzuweißen. Man könnte auch einmal
einen Sprecher der deutschen Krebshilfe einladen, einen Vertreter von „Würdevoll
Leben im Pflegefall“ oder eine Kämpferin für die Gleichberechtigung für
körperlich versehrte Menschen in der Arbeitswelt. Sie alle könnten von Spenden
profitieren und Gutes tun. Doch nein, es muss immer und jedes Mal der
Repräsentant der Rechte der Kinder sein. Zum Fisch serviert man Weißwein und zum
Hundethema muss es das verarmte Kind sein.
Wer trotzdem verbissen an der Vorstellung
festhalten möchte, dass es zwischen der Haustierhaltung und dem Lebensstandard
deutscher Kinder einen feststehenden kausalen Zusammenhang gibt, sollte
bedenken: Auch in der Industrie die ihr Dasein auf der Existenz der deutschen Hunde
gründet, arbeiten Menschen mit Kindern...