Sonntag, 6. März 2016

Diagnose: Alter



Wir leben in einer Zeit und einer Gesellschaft, in der Alter und Altern immer mehr als Makel gilt. Wer mit 45 nicht mehr genau so fit und schlank ist, wie mit 15, wird misstrauisch beäugt, graue Haare oder gar Falten gelten schon fast als ein Ausdruck von Charakterschwäche. Im Leben der Menschen herrscht vieler Orts der Jugendwahn und auch vor dem besten Freund des Menschen macht diese verschrobene Einstellung zum Altern nicht halt.

Wie sein zweibeiniger Begleiter, ist es auch für den Hund heutzutage unschicklich, alt zu werden. Machen sich mit neuen Jahren erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar oder entwickelt Hund mit zehn Jahren erste Anzeichen von Arthrose, wird oft gemutmaßt, was der Besitzer wohl falsch gemacht haben könnte oder es startet eine neue Runde Rassehundebashing. Denn mit gerade mal 10 Jahren geht es ja nicht an, dass Hund grau um die Schnauze wird und sich an nasskalten Tagen etwas schwerer mit dem Aufstehen tut. Da muss schon der Züchter etwas verbockt haben oder es um die Gesundheit der ganzen Rasse schon schlimm stehen, anders kann man sich so etwas nicht vorstellen.

Es wird schon misstrauisch beobachtet, wenn ein Hund erwachsen wird und sich nicht das dauerkindliche Wesen bewahrt, doch wenn er gar alt wird, ist es für viele Halter eine Katastrophe. Alt werden und alt sein hat die großen Hundeseuchen als Schreckgespenst abgelöst und muss mit aller Macht bekämpft werden. Klickt man sich durch die Gesundheitsecken und Futterratgeber online, findet man allerorten Hilfe suchende Hundehalter. Der 14jährige Labrador hat Krebs und man braucht dringend Tipps für Heilkräuter, die da noch helfen können, weil der dumme Tierarzt nichts mehr machen will und die 10jährige Dogge läuft unrund, also muss man jetzt schnell von Trockenfutter auf BARF umstellen, denn das ist ja gesünder. Sich damit abfinden, dass Hunde auch alt werden und damit auch viele Veränderungen einhergehen, ist für viele leider nicht denkbar.

Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Hundehalter, die das Alter ihres Vierbeiners glorifizieren. Von „weisen“ Hunden und „großen Seelen“ ist da dann oft die Rede, meist in Zusammenhang mit Tieren aus dem Tierschutz. Alles ist herrlich und wunderbar und von einer großen Seelenverwandtschaft getragen, die man angeblich nur bei alten Hunden finden kann. Die Tatsache, dass mit dem Alter oft veränderte Bedürfnisse und Krankheit einhergehen, wird, wenn überhaupt nur als kleine Fußnote angemerkt, denn die Weisheit der großen Seele neben sich, macht das alles wieder weg. Oftmals wäre jedoch praktisch, wenn der weise Begleiter einem sagen könnte, woher man das Geld für Dauermedikation, Physiotherapie und alternative Behandlungsmethoden nehmen soll, wenn die Tücken des Alters einen voll treffen.

Jeder, der schon einmal einen jungen Hund verloren hat, wird sich immer wünschen, das Leben mit dem Senior erleben zu dürfen. Dennoch sollte man auch diesen Lebensabschnitt nicht romantisch verklärt betrachten, sondern sich der Realität stellen. Das Leben mit einem alten Hund hat seine schönen Seiten und es ist auch nicht von einem Tag auf den nächsten alles teuer, trist und traurig. Doch mit der Zeit ändert sich vieles. Chronische Erkrankungen gehören in den meisten Fällen früher oder später mit zum Alltag und egal zu wie vielen Ärzten man läuft und wie viele überteuerte Wunderkräutermischungen man auf Anraten von Online-Experten gekauft hat, mit einigem wird man lernen müssen zu leben. Auch wird sich der Charakter nie wieder zurück zu dem überdrehten Junghund zurück ändern.
Veränderte Beschäftigung, veränderte Gewohnheiten, verändertes Futter, all das gehört in vielen Fällen zum Leben mit dem älter werdenden Hund und ist kein Grund zur Verunsicherung. Das Alter beim Hund ist weder eine grausame Erkrankung die man bekämpfen muss, so wie es die Jugendwahnanhänger tun, noch ist sie der allein seligmachende Zustand, zu dem es andere verklären. Die Seniorenzeit des Hundes ist, was sie ist, eine Lebensphase mit eigenen Bedürfnissen, die man akzeptieren muss und in der man, wie in allen anderen Lebensabschnitten, die individuellen Bedürfnisse seines Hundes respektieren sollte.


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