Samstag, 5. Januar 2019

Guck, wie schön es rollt...



Das Rad gehört zu einer der simpelsten, aber auch genialsten Konstruktionen, die die Menschheit erdacht hat. In der Menschheitsgeschichte hat man immer wieder Veränderungen daran vorgenommen, massiv oder mit Speichen, aus verschiedensten Materialien… doch das Grundprinzip ist seit jeher das Gleiche geblieben. Das Rad ist ein scheibenförmiges Konstrukt von kreisförmiger Kontur, das auf einer Achse in seinem Zentrum drehbar gelagert ist.
In dieser Form ist es aus dem Jahre 3500 vor Christi bereits überliefert und daran hat sich bis heute nichts geändert, weil jede Änderung am Grundprinzip die Effektivität des Rades negativ beeinflusste.
Ähnlich wie mit dem Rad, sieht es mit den Grundlagen der Lerntheorie in der Hundeerziehung aus. Die Lerngesetze verändern sich seit Anbeginn der Zeit nicht wirklich und dennoch meinen gerade in neuester Zeit immer mehr Hundetrainer, sie müssten das Rad und die Hundeerziehung komplett neu erfinden.
Als ich damals nach dem Studium meinen ersten eigenen Hund zu mir nahm, gab es zwei Möglichkeiten. Man ging für die sportliche Ausbildung in den Verein oder für die Alltagserziehung in die Hundeschule. Das war die ganze Auswahl. Damals hatten Hundeschulen keine Philosophie und auch kein Konzept nach xy. Man erzog und trainierte nach den klassischen Regeln der operanten Konditionierung nach Skinner et.al. Der einzige Unterschied lag darin, wie stark die individuellen Trainer die vier Quadranten der Konditionierung gewichtete, sprich ob mehr über Belohnung (positiv/negativ) oder Bestrafung (positiv/negativ) gearbeitet wurde.
Aber das reicht heutzutage nicht mehr. Man muss sich aus der Masse irgendwie abheben, um ein paar der solventen Kunden abgreifen und der Konkurrenz in der Welt der Hundeschulen eine Nase drehen zu können. Den Anfang machten die „nur positiv“ Philosophen, die sich groß und in blinkenden Neon Buchstaben auf ihre Fahnen schrieben, dass sie von den drei Möglichen Instrumenten der operanten Konditionierung zur Verhaltensänderung auf jeden Fall nur einziges Nutzen würden, nämlich die positive Verstärkung, nur die positive Verstärkung und nichts als die positive Verstärkung.
Ich möchte an dieser Stelle nicht darauf eingehen, dass es im realen Leben schlicht unmöglich ist, weil sich die negative Bestrafung in so vielen kleinen Details IMMER einschmuggeln wird. Das wäre ein anderes Thema.
Aber sie machten den Anfang mit einer ganz eigenen Philosophie und dem Versuch, ihre eigene Variante des Rades ganz neu und modern und anders zu erfinden. Der plötzliche Erfindergeist der Hundetrainer griff mit einem Mal wie ein Lauffeuer um sich. Es war schon nahezu verpönt, einfach nur Hunde zu erziehen. Nein, nun brauchte man dringend eine Philosophie, die dahinterstand, die einen einzigartig machte und dafür sorgte, dass man nicht unter den 150 Adressen für Hundeerziehung im Branchenverzeichnis unterging. Auf die „nur positiv“ Welle sprangen viele auf. Doch da auch dort die Luft schnell dünn wurde und man erneut drohte nur wieder einer unter vielen zu sein, ging die Philosophiererei weiter. Jeder wollte sein ganz eigenes Rad bauen und gab sich alle Mühe, dass es sich auch ja bereits auf den ersten Blick unterschied.
Über Nacht schossen Konzepte und Gesetzmäßigkeiten aus dem Boden und binnen Sekunden wurden ganze „althergebrachte Traditionen“ erfunden. Hierbei ist das Internet sehr spannend, denn bei manchen Personenkreisen kann man diesen Vorgang von „normal“ zu „Guru mit absolut einmaligem Wissensstand“ sehr detailliert nachvollziehen. Ich blicke in deine Richtung, vererbte Rudelstellung…
Kein Konstrukt ist zu eigenartig, kein Gedankengang zu abwegig, als dass sich nicht ein Trainer finden würde, der es propagiert und ein paar Hundehalter, die bereit sind, dem ganzen zu folgen. Die Basis der ganzen neu erfundenen Trainingswege ist mehr als wackelig. Die einen sägen einfach Teile aus der klassischen Lerntheorie und basteln sie willkürlich und ohne wissenschaftlichen Rückhalt zu einem neuen, windschiefen Konstrukt zusammen. Dabei scheuen sie sich auch nicht, feststehende, wissenschaftliche Termini in ihrer Bedeutung willkürlich umzunutzen. Wer Zeit und gute Nerven hat, kann ja mal bei Facebook und Co in den ganzen „nur positiv“ Gruppen mal das Thema negative Verstärkung ansprechen und sich überraschen lassen, wie viele Leute diesen Terminus nutzen, ohne auch nur den Ansatz einer Ahnung zu haben, was er bedeutet.
Vorsicht, Spoiler… Nein, negative Verstärkung hat nicht das geringste mit Strafe zu tun.

Es entstehen die abstrusesten Philosophien, gerne gekoppelt mit Zubehör des jeweiligen Gurus, äh Verzeihung, Trainers ohne das man einen Hund nie und nimmer vernünftig und artgerecht erziehen kann. Der ein oder andere kommt sogar auf den Trichter man könnte Lernen durch Nachahmung beim Hund propagieren. Das mag beim gemeinsamen Spiel noch funktionieren, bei der Stubenreinheit dürfte das Konzept allerdings bereits spannend werden.
Und für alle, die immer noch in großen bunten Leuchtfarben die Behauptung auf ihren Internetseiten prangern haben, dass sie nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten würden, habe ich noch eine Eilmeldung:
Bei der Lerntheorie verhält es sich ein wenig wie mit dem Rad. Das eine ist seit über 5500 Jahren relativ unverändert und auch bei dem anderen hat sich in der „neuesten Wissenschaft“ nicht wirklich etwas getan an den Basisgesetzen. Seit Iwan Petrowitsch Pawlows sabbernden Hunden und Burrhus Frederic Skinners knöpfchendrückenden Ratten haben sich keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse in dem Bereich mehr ergeben.
Wie beim Rad hat man ein paar Verfeinerungen vorgenommen, ein paar Nuancen variiert und die Gewichtung hin und wieder ein wenig verschoben, doch das Grundprinzip bleibt unangetastet. Und so fragt man sich bisweilen, ob manch ein Hundetrainer nicht deshalb versucht, das Rad neu zu erfinden, weil seines ab ist und er nur noch zu gucken kann, wie es von dannen rollt.