Dienstag, 2. Februar 2016

Natur pur - Roh ins Chaos



Vor ein paar Jahren war das Barfen noch eine Randerscheinung in der Hundefütterung, heute ist es in aller Munde bzw. in allen Näpfen. Als ich vor gut 10 Jahren mit der Rohfütterung begann, musste man im Grunde noch jedem anderen Hundehalter erklären, was das überhaupt ist. Jetzt weiß jeder worum es geht – oder glaubt es zumindest – und viele haben es auch schon probiert.

In der Theorie gefällt mir die Vorstellung, dass sich immer mehr Hundehalter für die Rohfütterung interessieren. Doch in der Realität jagen mir die Auswüchse die dieses Thema annimmt, kalte Schauer über den Rücken.

Rohfütterung ist gesund und nichts wofür man studiert haben muss, um es richtig zu machen. Aber was in der Vorstellungswelt mancher daraus mutiert, ist schon sehr abenteuerlich. Die verschiedenen Modelle der Fütterung mutieren plötzlich zum Allheilmittel gegen alles Übel in der Hundewelt. Egal ob BARF, Prey-Model (und nochmal für alle zum Mitschreiben es nennt sich PREY-Model und nicht PRAY-Model auch wenn Beten vielleicht ab und an keine schlechte Idee wäre bei dem Irrsinn, der im Futternapf tobt) oder eine sonstige Spielart der Rohfütterung, es ist die alleinige Antwort auf allen Beschwerden die den Fifi plagen. Ein Tierarzt wird überflüssig, sobald Rohfleisch im Napf liegt. Glaubt man dem geballten Wissen in diversen Online Portalen, gibt es kein Wehwehchen, das man auf diese Art nicht heilen oder verhindern könnte. Roh gefütterte Hunde bekommen keine Magendrehung, roh aufgezogen beugt HD und ED vor, da Allergien alle samt und sonders nur von Industriefutter kommen, lassen sich alle ausnahmslos ebenso mit Barf bekämpfen, selbst Krebs lässt sich mit Rohem verhindern und auch bekämpfen. Diabetes, Herzleiden, Niereninsuffizienz und Schilddrüsenprobleme treten ebenso wenig auf wie Spondylose, Arthrosen und Bänderrisse, wenn man nur richtig füttert.
Die wildesten Theorien ranken sich rund um die Rohfütterung und werden mit Vehemenz vertreten und verteidigt. Wer wagt, leise darauf hinzuweisen, dass viele der genannten Erkrankungen eine – oftmals nicht unerhebliche – genetische Komponente besitzt, wird niedergebrüllt. Man habe eine Gehirnwäsche von der Futtermittel- oder der Pharmaindustrie bekommen oder einfach zu wenig Erfahrung.
Ich habe bis jetzt vier Hunde rohernährt, zwei davon wurden roh aufgezogen. Cauda Equina, Spondylose, Magendrehung und Krebs konnte die gesunde Ernährung dennoch nicht verhindern. Naja, vielleicht habe ich da ja auch nur etwas falsch gemacht…

Falsch machen ist ein schönes Stichwort, denn glaubt man den selbsternannten Profis, kann man bei der Rohfütterung nichts falsch machen, man muss sich nur an den natürlichen Bedürfnissen des Hundes orientieren. Man braucht sich nicht vorab informieren, sondern kann alles rein nach Bauchgefühl machen. Klingt gut, nur leider ist die traurige Wahrheit, dass die meisten Leute keinen blassen Schimmer von den natürlichen Bedürfnissen ihres Hundes haben und ihr Bauchgefühl in einer rosaroten Zuckergusscomicwelt stecken geblieben ist. Was dabei rauskommt, wenn die Leute auf ihr Gefühl hören, kann man ständig in den unzähligen Hilferufen verzweifelter Barf Anfänger in diversen Foren nachlesen. Ein paar typische Beispiele gefällig? Regelmäßig trifft man zum Beispiel auf den mysteriös abmagernden Hund. Der kleine 10kg Mischling hat seit drei Wochen Rohfutter jetzt schon drei Kilo abgenommen und das obwohl er jeden Tag schon ein Kilo Putenbrust aus dem Supermarkt zu fressen bekommt und dazu Babybrei aus dem Gläschen in diversen Geschmacksrichtungen, weil man mal gehört hat, dass Abwechslung wichtig ist. Ein weiterer Kandidat, der immer wieder in Hilfsthreads aufschlägt, ist der verzweifelte Hundebesitzer, der fürchtet, dass sein Hund Rohfutter nicht verträgt. Seit zwei Monaten versucht man jetzt den Hund umzustellen und er hat einfach nur noch Durchfall. Auf die Idee, dass man vielleicht auch etwas Anderes füttern müsste, als nur den Pansen und die bindegewebsreichen Reste, die es gratis beim Metzger gibt, kommt man nicht, ist ja alles roh und damit gesund. Den dritten Platz in dieser Gruselolympiade nehmen die „Knochen müssen ja sein“ Anfänger ein. Ja, Knochen gehören zur Rohfütterung und sind, richtig gefüttert, harmlos und gesund. Doch immer wieder stürzen sich Anfänger ins Abenteuer Knochenfütterung ohne den Hauch einer Ahnung. In bester Absicht wird dem Hund dann als erste Knochenmahlzeit ein komplett fleischloser Beinknochen vorgesetzt, damit Fifi auch ordentlich was zu kauen hat. Das böse Erwachen kommt dann in den nächsten Tagen in Form von schmerzhaften Knochenkot – oder im schlimmsten Fall einem Darmverschluss – wenn Hund zu viel Knochen gefressen oder gar größere Stücke verschluckt hat.

Nein, man braucht sicher keinen Doktortitel in Ernährungswissenschaften der Caniden und man muss auch nicht jede Zutat bis aufs tausendstel Gramm nachrechnen und abmessen, aber man sollte sich im Vorfeld über die Grundbedürfnisse des Hundes informieren und zumindest einmal knapp überschlagen, wie viel man von was füttern muss, um die Bedarfswerte zu erreichen und sicher zu stellen, dass der Hund mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt ist.

Wirklich interessant wird es allerdings erst, wenn es um die Heilung kranker Hunde mittels Heilpflanzen oder sonstiger Zusatzfuttermittelchen geht. Ja, wir erinnern uns, der rohgefütterte Hund wird eigentlich nicht krank, aber es gibt doch Exemplare, die diese anerkannte Tatsache noch nicht mitbekommen haben und sich trotzdem etwas einfangen. Egal ob Erkältung, Verstauchung, Durchfall oder Arthrose, gegen alles ist ein Kraut gewachsen. Wenn man vorbeugen möchte kann man auch gleich den Multimix aus dem Barfladen füttern, wo sich auf 250 Gramm 40 verschiedene Kräuter in getrockneter, gemahlener und zu Pellets gepresster Form gegen alles helfen von Arthrose bis zu zentralnervösen Störungen. Unnötig zu erwähnen, dass diese Mikrodosierungen der Heilpflanzen nie auch nur annähernd eine therapeutische Dosis erreichen, um irgendetwas zu erreichen. Doch dann gibt es noch freiverkäufliche, natürliche Mittel mit echter Wirkung und auch diese werden bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit empfohlen. Sicherlich mag man mit etwas gutem Imkerhonig keinen Schaden anrichten, aber bei Heilpflanzen sieht es schnell anders aus. Denn nur, weil ein Mittel natürlich und 100% pflanzlich ist, ist es nicht automatisch harmlos. Woher dieser gefährliche Irrglaube stammt… keine Ahnung, aber auch hier ist das gesunde Bauchgefühl abhandengekommen und alles Natürliche wird zum Heilsbringer verklärt, immer gesund und absolut ungefährlich. Das Gift des Grünen Knollenblätterpilzes ist auch 100% pflanzlich, ich würde mich aber hüten, es als ungefährlich einzustufen. Sicher sind Ackerschachtelhalm, Mariendistel, Ulmenrinde und Co nicht giftig, allerdings sollte man sich auch hier einfach im Vorfeld über Anwendungsgebiete, Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen informieren und nicht davon ausgehen, dass falsch angewandte Heilkräuter keine negativen Folgen haben können.  



Es bleibt zu hoffen, dass die verirrten Rohfütterer aus ihrer Fantasiewelt wieder aufwachen und in die Realität zurückfinden, denn die verklärte Sicht auf Barf und Co dürfte den Hunden mehr schaden, als das verfemte Billigindustriefutter. Durchdachte Frischfütterung wird für uns hier immer das Mittel der Wahl bei der Hundeernährung sein. Bei dem Chaos, das im Namen der natürlich gesunden Rohfütterung aber derzeit in so manchen Näpfen aus schlichter Unwissenheit angerichtet wird, packt mich jedoch das kalte Grauen.