Sonntag, 4. September 2016

...bis, dass dein Tod uns scheidet





Ein Hund ist kein Gegenstand, den man einfach weiterreich, er ist nicht einfach nur ein Tier, er ist Familie. Wenn er einmal bei einem lebt, gibt man einen Hund nicht mehr ab, zumindest nicht, wenn man ein Herz hat. Nur emotionale Unmenschen, Hundesportler und Jäger bringen so etwas Gefühlskaltes zustande. Man darf sich von seinem Lebensgefährten trennen, sich von Freunden abwenden, sich scheiden lassen und nach der Scheidung kann man auch seine Kinder beim ehemaligen Ehepartner lassen, aber seinen Hund wegzugeben ist ein Sakrileg.

Es mag übertrieben klingen, doch das ist in etwa die Quintessenz, die man aus den Äußerungen diverser Hundefreunde ziehen kann, wenn es zu diesem Thema kommt. Der Hintergrund aus dem man zur Überlegung kommt, sich von seinem Vierbeiner zu trennen, ist dabei häufig irrelevant. Der schon früher aggressive Hund reagiert auf das Kind, das ins Krabbelalter kommt? Alles eine Frage des Managements und ein bisschen Training, immerhin kann man auch vom Kinder verlangen, sich einzuschränken. Der Hund kann keine Minute alleine bleiben, durfte früher mit ins Büro, für einen Dogsitter reicht das Gehalt nicht und im neuen Job ist der Hund am Arbeitsplatz verboten? Von Hartz IV kann man ja auch leben. Der Ehepartner hat über die Jahre schweres Asthma entwickelt und reagiert auch auf den Hund massiv? Tja, man kann auch als Single mit Hund sehr glücklich sein.
Ganz besonders die Kombination „aggressiver Hund, Schwangerschaft/Kleinkind“ treibt die Hundefreunde zu den eigenartigsten Ratschlägen und Ansichten, um die Abgabe eines Hundes zu untermauern.

Richtig ungemütlich wird es aber, wenn es für Außenstehende keinen greifbaren Grund gibt. Wenn „nur“ die gegenseitigen Bedürfnisse nicht zueinanderpassen, stößt man bei Abgabeüberlegungen auf noch weniger Verständnis, als bei einer realen Bedrohung für Gesundheit und Co. An erster Stelle stehen hier meist Hunde, die für eine bestimmte Aufgabe gekauft wurden – Jagdhund, Hütehund, Sporthund – und bei denen sich im Laufe der Ausbildung herausstellt, dass sie aus irgendeinem Grund nicht im geplanten Umfang einsatzfähig sein werden. Gesundheitlich beeinträchtigt, von der Veranlagung nicht geeignet oder einfach nur mangelnde Chemie zwischen Hund und Hundeführer, es kann viele Gründe geben, wieso aus dem gesteckten Ziel nichts wird. Irgendwann stellt sich jedoch die Frage, wie es weitergehen soll. Für die meisten Hundefreunde ist die Antwort klar, der Mensch soll sich nicht so anstellen und muss sich auf den Hund einstellen, denn das Hobby des Zweibeiners kann nicht so wichtig sein.
Nicht anders sieht es bei Hunden aus, die als Familienhund angeschafft wurden und sich herausstellt, dass das Familienleben mit diesem Vierbeiner einfach nicht funktionieren will. Dabei ist es erstmal egal, ob man sich blauäugig und schlecht informiert den Leistungsschäferhund oder den schicken Weimaraner für den Sonntagsnachmittagsbummel in der Stadt zugelegt hat, oder ob sich der vom Tierheim als Labradormischling für die Familie empfohlene Welpe als Kangal entpuppt. Die Hundewelt ist dann sehr schnell mit Vorwürfen bei der Hand. Man hätte sich besser informieren müssen, man darf nicht so bequem sein und muss eben daran arbeiten, andere Leute schaffen das auch… Wie schon bei den Arbeitshunden ist der Gedanke an Abgabe verpönt. Sehr gerne kommen dann „Hunde sind Familienmitglieder, gibst du deine Kinder weg“ Sprüche oder es kommen triefend romantische Geschichten, über den steinigen Weg vom Zusammenfinden mit dem Seelenhund – ein Thema, so nervig penetrant, dass es eigentlich einen eigenen Blog Eintrag verdient hätte.

Jenen, die ihren Hund für eine Aufgabe angeschafft hatten, wird das Geschwätz der „Hundefreunde“ im realen Leben und im Netz meist relativ egal sein. Ist Platz, Zeit und generelle Sympathie vorhanden, wird der Hund als Begleithund bleiben und ein weiterer Vierbeiner für den zu erledigenden Job einziehen. Sind die Voraussetzungen sind gegeben, werden sich die Lebenswege von Hund und Halter trennen. Die Netzgemeinde schreit in Entsetzen auf und sieht sich in ihren Erfahrungen mal wieder bestätigt, so herzlos können nur Sportler, Jäger und ähnliche Unmenschen sein.
Für die Familie und ihren mäßig geeigneten Familienhund beginnt ein langer, beschwerlicher und oftmals happy-End-freier Weg. Man versucht sich zusammenzureißen, startet mit einem Dutzend gutgemeinter Erziehungstipps aus dem Internet und dem persönlichen Umfeld, sucht Trainer um Trainer auf und hofft auf Besserung. Der ein oder andere mag es schaffen, sich so weit zu arrangieren, dass es für Hund und Halter ein erträgliches Zusammenleben wird, das man an manchen Tagen sogar als glücklich bezeichnen kann. Die anderen werden ein Hundeleben lang versuchen durch Management und Ausbau der eigenen Frustrationstoleranz durchzuhalten. Denn egal, wie sehr man sich bemüht und wie viel Zeit und Geld man auch in Training und Trainer investiert, manche Dinge werden sich schlicht nicht ändern lassen. Aber – wie wir aus dem Internet gelernt haben – Hunde sind eben Familienmitglieder und solche gibt man nicht einfach weg. Also hält man irgendwie durch, bis zu dem Tag an dem es nicht mehr möglich ist. Meist geschieht an diesem Tag ein Beißvorfall und sprengt die Leidensfähigkeit des Hundehalters. Vergessen ist all das Gerede von Familie und die Motivationssprüche, der Hund muss weg und zwar sofort. In der Regel in einem Erziehungszustand, in dem sich auf die Schnelle kein geeignetes Zuhause finden lässt. Für solche Hunde gibt es in der Regel dann nur zwei Möglichkeiten, der letzte Gang zum Tierarzt oder ein (in der Regel sehr langer, manchmal lebenslanger) Aufenthalt im Tierheim.
Das sind die Fälle in denen man die ganzen Hundefreunde mit ihrem „Hunde sind Familie“ Gebrüll dezent mit den Köpfen gegen den Computerbildschirm schlagen und ihnen ein „schaut was ihr mitverursacht habt“ entgegenbrüllen.
Dies soll mitnichten ein Plädoyer dafür werden, seine Hunde wie gebrauchte Socken zu wechseln oder seinen Vierbeiner beim ersten Problem sofort abzustoßen. Doch man sollte sich einmal vor Augen führen, welche Konsequenzen diese weltfremde „den Hund um jeden Preis behalten“ Einstellung haben kann. Im schlimmsten Fall kostet sie den Hund am Ende das Leben oder verdammt ihn zu lebenslanger Einzelhaft als „gefährlicher Hund“ – denn für die wenigsten Hunde mit Beißvorfall gibt es ein Happy End nach der Abgabe – im besten Fall leben Hund und Halter irgendwie nebeneinander her, ohne dass einer von beiden eine Chance auf ein glückliches und zufriedenes Leben hat in dieser Zeit.

In zwischenmenschlichen Beziehungen hat man sich so weit entwickelt, dass man nicht mehr auf „bis, dass der Tod uns scheidet“ warten muss, sondern die Chance auf einen getrennten Neuanfang und ein glückliches Leben ohne den anderen offensteht. Ein Modell, das man vielleicht auch in der Hund-Mensch-Beziehung enttabuisieren sollte, denn die Realität beweist auch hier, dass die Dogmen „Hunde sind Familie“ und „wenn du ihn liebst, schafft ihr das“ in die Märchenwelt gehören.