Ein Hund ist kein Gegenstand, den man einfach
weiterreich, er ist nicht einfach nur ein Tier, er ist Familie. Wenn er einmal
bei einem lebt, gibt man einen Hund nicht mehr ab, zumindest nicht, wenn man
ein Herz hat. Nur emotionale Unmenschen, Hundesportler und Jäger bringen so
etwas Gefühlskaltes zustande. Man darf sich von seinem Lebensgefährten trennen,
sich von Freunden abwenden, sich scheiden lassen und nach der Scheidung kann
man auch seine Kinder beim ehemaligen Ehepartner lassen, aber seinen Hund
wegzugeben ist ein Sakrileg.
Es mag übertrieben klingen, doch das ist in etwa die
Quintessenz, die man aus den Äußerungen diverser Hundefreunde ziehen kann, wenn
es zu diesem Thema kommt. Der Hintergrund aus dem man zur Überlegung kommt,
sich von seinem Vierbeiner zu trennen, ist dabei häufig irrelevant. Der schon
früher aggressive Hund reagiert auf das Kind, das ins Krabbelalter kommt? Alles
eine Frage des Managements und ein bisschen Training, immerhin kann man auch
vom Kinder verlangen, sich einzuschränken. Der Hund kann keine Minute alleine
bleiben, durfte früher mit ins Büro, für einen Dogsitter reicht das Gehalt
nicht und im neuen Job ist der Hund am Arbeitsplatz verboten? Von Hartz IV kann
man ja auch leben. Der Ehepartner hat über die Jahre schweres Asthma entwickelt
und reagiert auch auf den Hund massiv? Tja, man kann auch als Single mit Hund
sehr glücklich sein.
Ganz besonders die Kombination „aggressiver Hund,
Schwangerschaft/Kleinkind“ treibt die Hundefreunde zu den eigenartigsten
Ratschlägen und Ansichten, um die Abgabe eines Hundes zu untermauern.
Richtig ungemütlich wird es aber, wenn es für
Außenstehende keinen greifbaren Grund gibt. Wenn „nur“ die gegenseitigen
Bedürfnisse nicht zueinanderpassen, stößt man bei Abgabeüberlegungen auf noch
weniger Verständnis, als bei einer realen Bedrohung für Gesundheit und Co. An
erster Stelle stehen hier meist Hunde, die für eine bestimmte Aufgabe gekauft
wurden – Jagdhund, Hütehund, Sporthund – und bei denen sich im Laufe der
Ausbildung herausstellt, dass sie aus irgendeinem Grund nicht im geplanten
Umfang einsatzfähig sein werden. Gesundheitlich beeinträchtigt, von der
Veranlagung nicht geeignet oder einfach nur mangelnde Chemie zwischen Hund und
Hundeführer, es kann viele Gründe geben, wieso aus dem gesteckten Ziel nichts
wird. Irgendwann stellt sich jedoch die Frage, wie es weitergehen soll. Für die
meisten Hundefreunde ist die Antwort klar, der Mensch soll sich nicht so
anstellen und muss sich auf den Hund einstellen, denn das Hobby des Zweibeiners
kann nicht so wichtig sein.
Nicht anders sieht es bei Hunden aus, die als
Familienhund angeschafft wurden und sich herausstellt, dass das Familienleben
mit diesem Vierbeiner einfach nicht funktionieren will. Dabei ist es erstmal
egal, ob man sich blauäugig und schlecht informiert den Leistungsschäferhund
oder den schicken Weimaraner für den Sonntagsnachmittagsbummel in der Stadt
zugelegt hat, oder ob sich der vom Tierheim als Labradormischling für die
Familie empfohlene Welpe als Kangal entpuppt. Die Hundewelt ist dann sehr
schnell mit Vorwürfen bei der Hand. Man hätte sich besser informieren müssen,
man darf nicht so bequem sein und muss eben daran arbeiten, andere Leute
schaffen das auch… Wie schon bei den Arbeitshunden ist der Gedanke an Abgabe
verpönt. Sehr gerne kommen dann „Hunde sind Familienmitglieder, gibst du deine
Kinder weg“ Sprüche oder es kommen triefend romantische Geschichten, über den
steinigen Weg vom Zusammenfinden mit dem Seelenhund – ein Thema, so nervig
penetrant, dass es eigentlich einen eigenen Blog Eintrag verdient hätte.
Jenen, die ihren Hund für eine Aufgabe angeschafft
hatten, wird das Geschwätz der „Hundefreunde“ im realen Leben und im Netz meist
relativ egal sein. Ist Platz, Zeit und generelle Sympathie vorhanden, wird der
Hund als Begleithund bleiben und ein weiterer Vierbeiner für den zu
erledigenden Job einziehen. Sind die Voraussetzungen sind gegeben, werden sich
die Lebenswege von Hund und Halter trennen. Die Netzgemeinde schreit in
Entsetzen auf und sieht sich in ihren Erfahrungen mal wieder bestätigt, so
herzlos können nur Sportler, Jäger und ähnliche Unmenschen sein.
Für die Familie und ihren mäßig geeigneten Familienhund
beginnt ein langer, beschwerlicher und oftmals happy-End-freier Weg. Man versucht
sich zusammenzureißen, startet mit einem Dutzend gutgemeinter Erziehungstipps
aus dem Internet und dem persönlichen Umfeld, sucht Trainer um Trainer auf und
hofft auf Besserung. Der ein oder andere mag es schaffen, sich so weit zu
arrangieren, dass es für Hund und Halter ein erträgliches Zusammenleben wird,
das man an manchen Tagen sogar als glücklich bezeichnen kann. Die anderen
werden ein Hundeleben lang versuchen durch Management und Ausbau der eigenen
Frustrationstoleranz durchzuhalten. Denn egal, wie sehr man sich bemüht und wie
viel Zeit und Geld man auch in Training und Trainer investiert, manche Dinge
werden sich schlicht nicht ändern lassen. Aber – wie wir aus dem Internet
gelernt haben – Hunde sind eben Familienmitglieder und solche gibt man nicht
einfach weg. Also hält man irgendwie durch, bis zu dem Tag an dem es nicht mehr
möglich ist. Meist geschieht an diesem Tag ein Beißvorfall und sprengt die
Leidensfähigkeit des Hundehalters. Vergessen ist all das Gerede von Familie und
die Motivationssprüche, der Hund muss weg und zwar sofort. In der Regel in
einem Erziehungszustand, in dem sich auf die Schnelle kein geeignetes Zuhause
finden lässt. Für solche Hunde gibt es in der Regel dann nur zwei
Möglichkeiten, der letzte Gang zum Tierarzt oder ein (in der Regel sehr langer,
manchmal lebenslanger) Aufenthalt im Tierheim.
Das sind die Fälle in denen man die ganzen Hundefreunde
mit ihrem „Hunde sind Familie“ Gebrüll dezent mit den Köpfen gegen den
Computerbildschirm schlagen und ihnen ein „schaut was ihr mitverursacht habt“
entgegenbrüllen.
Dies soll mitnichten ein Plädoyer dafür werden, seine
Hunde wie gebrauchte Socken zu wechseln oder seinen Vierbeiner beim ersten
Problem sofort abzustoßen. Doch man sollte sich einmal vor Augen führen, welche
Konsequenzen diese weltfremde „den Hund um jeden Preis behalten“ Einstellung
haben kann. Im schlimmsten Fall kostet sie den Hund am Ende das Leben oder
verdammt ihn zu lebenslanger Einzelhaft als „gefährlicher Hund“ – denn für die
wenigsten Hunde mit Beißvorfall gibt es ein Happy End nach der Abgabe – im besten
Fall leben Hund und Halter irgendwie nebeneinander her, ohne dass einer von
beiden eine Chance auf ein glückliches und zufriedenes Leben hat in dieser Zeit.
In zwischenmenschlichen Beziehungen hat man sich so weit
entwickelt, dass man nicht mehr auf „bis, dass der Tod uns scheidet“ warten
muss, sondern die Chance auf einen getrennten Neuanfang und ein glückliches
Leben ohne den anderen offensteht. Ein Modell, das man vielleicht auch in der
Hund-Mensch-Beziehung enttabuisieren sollte, denn die Realität beweist auch
hier, dass die Dogmen „Hunde sind Familie“ und „wenn du ihn liebst, schafft ihr
das“ in die Märchenwelt gehören.