Das Rad gehört zu einer der simpelsten, aber auch
genialsten Konstruktionen, die die Menschheit erdacht hat. In der
Menschheitsgeschichte hat man immer wieder Veränderungen daran vorgenommen,
massiv oder mit Speichen, aus verschiedensten Materialien… doch das
Grundprinzip ist seit jeher das Gleiche geblieben. Das Rad ist ein
scheibenförmiges Konstrukt von kreisförmiger Kontur, das auf einer Achse in
seinem Zentrum drehbar gelagert ist.
In dieser Form ist es aus dem Jahre 3500 vor Christi
bereits überliefert und daran hat sich bis heute nichts geändert, weil jede
Änderung am Grundprinzip die Effektivität des Rades negativ beeinflusste.
Ähnlich wie mit dem Rad, sieht es mit den Grundlagen der
Lerntheorie in der Hundeerziehung aus. Die Lerngesetze verändern sich seit
Anbeginn der Zeit nicht wirklich und dennoch meinen gerade in neuester Zeit
immer mehr Hundetrainer, sie müssten das Rad und die Hundeerziehung komplett
neu erfinden.
Als ich damals nach dem Studium meinen ersten eigenen
Hund zu mir nahm, gab es zwei Möglichkeiten. Man ging für die sportliche
Ausbildung in den Verein oder für die Alltagserziehung in die Hundeschule. Das
war die ganze Auswahl. Damals hatten Hundeschulen keine Philosophie und auch
kein Konzept nach xy. Man erzog und trainierte nach den klassischen Regeln der
operanten Konditionierung nach Skinner et.al. Der einzige Unterschied lag
darin, wie stark die individuellen Trainer die vier Quadranten der
Konditionierung gewichtete, sprich ob mehr über Belohnung (positiv/negativ)
oder Bestrafung (positiv/negativ) gearbeitet wurde.
Aber das reicht heutzutage nicht mehr. Man muss sich aus
der Masse irgendwie abheben, um ein paar der solventen Kunden abgreifen und der
Konkurrenz in der Welt der Hundeschulen eine Nase drehen zu können. Den Anfang
machten die „nur positiv“ Philosophen, die sich groß und in blinkenden Neon
Buchstaben auf ihre Fahnen schrieben, dass sie von den drei Möglichen
Instrumenten der operanten Konditionierung zur Verhaltensänderung auf jeden Fall
nur einziges Nutzen würden, nämlich die positive Verstärkung, nur die positive
Verstärkung und nichts als die positive Verstärkung.
Ich möchte an dieser Stelle nicht darauf eingehen, dass
es im realen Leben schlicht unmöglich ist, weil sich die negative Bestrafung in
so vielen kleinen Details IMMER einschmuggeln wird. Das wäre ein anderes Thema.
Aber sie machten den Anfang mit einer ganz eigenen
Philosophie und dem Versuch, ihre eigene Variante des Rades ganz neu und modern
und anders zu erfinden. Der plötzliche Erfindergeist der Hundetrainer griff mit
einem Mal wie ein Lauffeuer um sich. Es war schon nahezu verpönt, einfach nur
Hunde zu erziehen. Nein, nun brauchte man dringend eine Philosophie, die dahinterstand,
die einen einzigartig machte und dafür sorgte, dass man nicht unter den 150
Adressen für Hundeerziehung im Branchenverzeichnis unterging. Auf die „nur
positiv“ Welle sprangen viele auf. Doch da auch dort die Luft schnell dünn
wurde und man erneut drohte nur wieder einer unter vielen zu sein, ging die
Philosophiererei weiter. Jeder wollte sein ganz eigenes Rad bauen und gab sich
alle Mühe, dass es sich auch ja bereits auf den ersten Blick unterschied.
Über Nacht schossen Konzepte und Gesetzmäßigkeiten aus
dem Boden und binnen Sekunden wurden ganze „althergebrachte Traditionen“
erfunden. Hierbei ist das Internet sehr spannend, denn bei manchen
Personenkreisen kann man diesen Vorgang von „normal“ zu „Guru mit absolut
einmaligem Wissensstand“ sehr detailliert nachvollziehen. Ich blicke in deine
Richtung, vererbte Rudelstellung…
Kein Konstrukt ist zu eigenartig, kein Gedankengang zu abwegig,
als dass sich nicht ein Trainer finden würde, der es propagiert und ein paar
Hundehalter, die bereit sind, dem ganzen zu folgen. Die Basis der ganzen neu
erfundenen Trainingswege ist mehr als wackelig. Die einen sägen einfach Teile
aus der klassischen Lerntheorie und basteln sie willkürlich und ohne
wissenschaftlichen Rückhalt zu einem neuen, windschiefen Konstrukt zusammen.
Dabei scheuen sie sich auch nicht, feststehende, wissenschaftliche Termini in
ihrer Bedeutung willkürlich umzunutzen. Wer Zeit und gute Nerven hat, kann ja
mal bei Facebook und Co in den ganzen „nur positiv“ Gruppen mal das Thema
negative Verstärkung ansprechen und sich überraschen lassen, wie viele Leute
diesen Terminus nutzen, ohne auch nur den Ansatz einer Ahnung zu haben, was er
bedeutet.
Vorsicht, Spoiler… Nein, negative Verstärkung hat nicht
das geringste mit Strafe zu tun.
Es entstehen die abstrusesten Philosophien, gerne
gekoppelt mit Zubehör des jeweiligen Gurus, äh Verzeihung, Trainers ohne das
man einen Hund nie und nimmer vernünftig und artgerecht erziehen kann. Der ein
oder andere kommt sogar auf den Trichter man könnte Lernen durch Nachahmung
beim Hund propagieren. Das mag beim gemeinsamen Spiel noch funktionieren, bei
der Stubenreinheit dürfte das Konzept allerdings bereits spannend werden.
Und für alle, die immer noch in großen bunten Leuchtfarben
die Behauptung auf ihren Internetseiten prangern haben, dass sie nach neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten würden, habe ich noch eine
Eilmeldung:
Bei der Lerntheorie verhält es sich ein wenig wie mit dem
Rad. Das eine ist seit über 5500 Jahren relativ unverändert und auch bei dem
anderen hat sich in der „neuesten Wissenschaft“ nicht wirklich etwas getan an
den Basisgesetzen. Seit Iwan Petrowitsch Pawlows sabbernden Hunden und Burrhus
Frederic Skinners knöpfchendrückenden Ratten haben sich keine bahnbrechenden
neuen Erkenntnisse in dem Bereich mehr ergeben.
Wie beim Rad hat man ein paar Verfeinerungen
vorgenommen, ein paar Nuancen variiert und die Gewichtung hin und wieder ein
wenig verschoben, doch das Grundprinzip bleibt unangetastet. Und so fragt man
sich bisweilen, ob manch ein Hundetrainer nicht deshalb versucht, das Rad neu
zu erfinden, weil seines ab ist und er nur noch zu gucken kann, wie es von
dannen rollt.