Es ist eines der Themen, die in schöner Regelmäßigkeit
durch die sozialen Medien geistern und zu dem jeder eine ganz eigene
Gruselgeschichte hat, der angebliche organisierte Tierdiebstahl. Wieso mir
dieses Thema ausgerechnet heute an Silvester in den Sinn kommt? Weil heute vor
fünf Jahren hier in der Region eine dieser Räuberpistolen ihren Anfang nahm.
Ein Hund entlief aus Angst vor einem Silvesterböller und wird bis heute
gesucht, weil man der festen Überzeugung ist, dass jemand diesen Hund damals
entführt hat. Heute ist eine Belohnung über mehrere tausend Euro ausgesetzt,
die zum Auffinden des Hundes führt, damals waren 75€ für einen Microchip jedoch
wohl zu teuer, denn der geliebte Hund war nicht gekennzeichnet. Bis heute
flattern Flugblätter über die Gassistrecken, regelmäßig taucht der Suchaufruf
bei Facebook auf und ebenso regelmäßig werden Drohungen gegen den Dieb
ausgesprochen und Leute mit ähnlich aussehenden Hunden genötigt zu beweisen,
dass ihr Hund nicht gestohlen ist.
Die fixe Idee des Diebstahls ist so fest in den Köpfen
der Menschen verankert, dass die wesentlich wahrscheinlichere Tatsache, dass
ein nicht gekennzeichneter Hund der auf der Schnellstraße (für den panischen
Hund in 5 Minuten zu erreichen), der Autobahn (15 Minuten) oder am Flussufer
(20 Minuten) tot aufgefunden wird, ohne weitere Meldung entsorgt wird.
Irgendwie scheint es in den Köpfen der Menschen eine festverankerte
Tatsache zu sein, dass die ganze Welt dort draußen nur darauf aus ist, ihren
Vierbeiner zu entführen und zu foltern. Wozu die Hunde (und Katzen) angeblich
gestohlen werden, stellt dabei jeden Horrorfilm in den Schatten. In der
Vorstellung der Hundehalter werden ihre Lieblinge ins Versuchslabore verschleppt,
zum Vergasen nach China transportiert, um als Fellbesatz am Mantelkragen zurück
zu kehren, in Vermehreranstalten nach Osteuropa entführt oder in Kampfhundearenen
geworfen. In besonders großem Verdacht
stehen hier immer die Altkleidersammler. Auch bei den Fangmethoden scheint der
Kreatitvität keine Grenzen gesetzt zu sein. Angeblich operieren die
Diebesbanden mit Hightech Equipment. Umgebaute Autos mit automatischer
Bodenklappe und Spezialpheromonen, die jedes Tier willenlos machen, sind noch
die konventionellsten Methoden, mit denen aufgewartet wird.
In eingängigen Internetforen und Facebook überschlagen
sich die „Erfahrungsberichte“. Wobei niemand je wirklich etwas davon gesehen
hat und die Schreibenden in den seltensten Fällen selbst betroffen sind. Meistens
sind es Geschichten, die dem Bruder des besten Freundes des Nachbarn passiert
sind. Auch wieder holen sich die Geschichten seit über zwanzig Jahren immer und
immer wieder. Mit Logik braucht man an dieser Stelle gar nicht einsetzen.
Dass in den verbliebenen Tierversuchslaboren in
Deutschland nur Versuchstiere aus eigener Zucht eingesetzt werden, interessiert
nicht. Die gestohlenen Hunde werden alle ins Ausland geschafft, lautet dann die
Antwort. Die Frage nach der Rentabilität wird ignoriert.
Selbst wenn man nur von ordinären Fallenstellern
ausgehen. Wieso sollten zwei oder drei Mann Teams in einem weißen Kastenwagen
mehrere hundert Kilometer nach Deutschland fahren, Essen für mehrere Tage und
Diesel verschwenden, wenn man dank dem modernen Internetkleinanzeigenmarkt auch
in Ostdeutschland ungewollte Hunde einfach für 2,50€ einsammeln kann? Auch
stellt sich die Frage, wieso nie auch nur ein einziger dieser mit dutzenden
Hunden gefüllten weißen Transporter jemals einer Polizeikontrolle aufgefallen ist.
Welpenschmuggler werden ebenso regelmäßig aufgegriffen, wie Drogenkuriere. Wie
schaffen es also die Haustierdiebe seit Jahrzehnten vollkommen unentdeckt
regelmäßig Massen an Hunden außer Landes zu schaffen?
In all den Jahren, die ich mich jetzt mit Hunden
beschäftige sind mir eine Handvoll von Fundhundunterschlagungen untergekommen,
bei denen ein gefundener Hund ohne Kennzeichnung behalten wurde, zwei Fälle in
denen der Hund vom Expartner gestohlen wurde, einen Fall in dem eine geistig
verwirrte Person einen angeleinten Hund vor einem Geschäft stahl und ein Fall
bei dem im Zuge einer Privatfehde ein Zuchthund gestohlen wurde.
Der organisierte Hundediebstahl vor dem im neuen Jahr
wieder gewarnt wird, sobald jemand Altkleider sammelt, ist mir noch nie untergekommen.
So leid es mir für die Besitzer des Hundes aus dem
Eingangsbeispiel auch tut, es macht keinen Sinn sich an dieser Räuberpistole
festzuklammern. Manchmal muss man sich schlicht damit abfinden, dass es kein
großes Böses gibt, dass einem so etwas antut, manchmal macht man schlicht einen
Fehler mit weitreichenden, tragischen Folgen.
In diesem Sinne wünsche ich allen Hundehaltern einen
ruhigen Silvesterabend. Sichert eure Hunde die nächsten Tage, um zu vermeiden,
dass auch ihr euch auf Grund eines tragischen Verlusts eine solche Geschichte
einreden müsst und zum Weiterleben dieser urbanen Legende beitragt.