Jeder liebt seine Hunde und in der Regel ist der eigene
Vierbeiner selbstverständlich der Tollste und Beste der ganzen Welt. Vor diesem
Hintergrund ist es bisweilen durchaus verständlich, dass man manchmal dazu
tendiert, die Realität etwas zu beschönigen, weil man den geliebten Hund durch
die rosarote Brille sieht. Doch der ein oder andere schießt dabei weiter übers
Ziel hinaus, als der Durchschnitt und so finden sich immer öfter Hundehalter,
die adliges Blut in ihren Adern zu haben scheinen, nämlich das des großen
Barons Münchhausen.
Die Hunde dieser Welt scheinen nur noch in Superlativen
zu leben. Sie sind die Schönsten, die Klügsten, die Gesündesten oder aber die
Schwierigsten, die Stursten und die Unberechenbarsten. Normal oder Durchschnitt
ist ausgestorben oder zumindest so stark verpönt, dass niemand mehr einen
solchen Hund zu besitzen scheint.
Der Collie dessen Großmutter einmal ein Beißkissen über
eine Wiese getragen hat, ist ein viel ernsterer Gebrauchshund als alle anderen
und selbst die Malinois der bekannten Sportler sollten sich vor ihm in Acht
nehmen. Der Dobermann aus den Kleinanzeigen, der nicht anständig an der Leine
gehen kann und aggressiv auf Passanten reagiert, ist noch ein „richtiger“ Hund.
Der zwölf Wochen alte Aussie der durch den Tunnel gestolpert und nicht von der
Welpenwippe gefalle ist, ist das absolute Naturtalent und der nächste Agility
Worldchampion. Aus jeder noch so unbedeutenden Kleinigkeit wird ein achtes
Weltwunder geformt und dem Hund eine ganz besondere Zukunft orakelt. Andere
Hunde wechseln gerne regelmäßig die Abstammungsrassen ihrer Mischungen, um noch
besonderer und vor allem ganz anders, als alle anderen Hunde zu sein.
Für denjenigen, der sich diese ganzen Wunderdinge anhören
muss, mag es in den meisten Fällen lästig sein und wenn die nächste Anekdote
vom künftigen Mulitchampion-Tripple-World-Winner in spe zum Besten gegeben
wird, rollt man meist genervt mit den Augen und schickt einen kleinen
Stoßseufzer gen Himmel, dass sie doch bald enden möge. Natürlich ist auch der
Halter selbst, nicht nur einfacher Hundehalter. Er ist entweder das geborene
Wunderkind, das schon noch einer Woche mit seinem Hund alles weiß, was es rund
um Hunde zu wissen gibt und nichts mehr lernen kann, weil er auch das Können
mit der Luft eingeatmet und verinnerlicht hat, von der Minute an, in der er
sich entschieden hatte, einen Hund ins Haus zu holen. Oder man ist der alte
Hase, der Profi, der schon Profi war, als alle anderen großen Namen noch mit
Plüschhunden spielten, schon Jahrzehnte lange Erfahrungen mit jeder Hunderasse
und jedem Mischling gemacht hat und vom Familienwelpen bis zum
verhaltensgestörten Beschädigungsbeißer alles erziehen kann. Allerding sind
diese Realitätsverschiebungen in der Regel harmlos für Hund und Halter. Der
Halter kann sich geschmeichelt fühlen, weil er einen so begabten Hund mit so
vielen Talenten jenseits des Durchschnitts hat und allein das Wissen darum reicht,
dass er niemandem etwas beweisen muss. Wozu auch die Zeit für Prüfungen und
Turniere in einer Sportart verschwenden, wenn der Hund doch in sieben
gleichzeitig zeigen kann, dass er alle Disziplinen beherrschen würde. Außerdem
führt man auch keine davon weitergehend aus, weil das den Menschen mit den viel
normaleren Hunden gegenüber unfair wäre. Oder man hat eben einen von den viel
krasseren Hunden, den echten alten Dobermann aus der liebevollen
Familienaufzucht oder den voll schwierigen IPO Collie, mit denen nicht jeder
Mensch umgehen kann und die unbedingt einen fähigen Halter brauchen, der sie
durch den Alltag führt. Aber auch hier sieht das Ganze in der Realität
wesentlich harmloser aus, als es sich in den Geschichten anhört. Der vollkrass
harte Ausnahmehund lebt sein beschauliches Familienleben, wie jeder andere und
der Hundehalter fühlt sich gut dabei, dass er den zur absoluten Herausforderung
erklärten Familienfiffi problemlos im Griff hat. Der Hund lebt sein Leben und
der Halter streichelt das eigene Ego.
Die Abstammung vom Freiherr Baron zu Münchhausen könnte
also für die Beteiligten eigentlich harmlos sein und für Außenstehende zwischen
belustigend und nervig schwanken, wäre da nicht die dunkle Seite der
Geschichte. Jene Hundehalter, die sich nicht an nicht vorhandenen Talenten
erfreuen und stolz auf die erfundenen Besonderheiten ihrer Hunde sind, sondern
die, die sich über nicht wirklich vorhandene Probleme und Störungen verrückt
machen. Da wird aus dem jungen Leistungswelpen der im Spiel aus Übermut mal die
Hand des Sohnes erwischt und einen kleinen rosa Abdruck auf der Haut
hinterlassen hat, schnell ein kinderzerfleischendes Monster, das man nicht mehr
frei in der Wohnung rumlaufen lassen kann. Ein Hund, der mit einem halben Jahr
mangels vernünftigem Trainings immer noch nicht zuverlässig stubenrein ist,
wird auf einen Tierarztmarathon geschleppt und ein anderer wird in den ersten
zwei Lebensjahren beinahe ein dutzend Mal in Narkose gelegt, um ein Röntgenbild
nach dem anderen zu machen und zur Sicherheit noch eine handvoll CTs
anzuschließen, weil man sich sicher ist, dass der Hund schwer am
Bewegungsapparat erkrankt ist und nicht nur fünf Tritte schräg lief, weil der Kieselstein
zwischen den Pfotenballen gepiekst hat.
Sowohl beim Besitzer als auch beim Hund birgt dieses
Verhalten hohes Risikopotential. Beim Hund erzeugt es unnötigen Stress durch
ungerechte Behandlung für angebliches Fehlverhalten oder zu häufige
Tierarztbesuche mit vielen oftmals unnötigen Untersuchungen. Das Zusammenleben
wird zum Horror für alle Beteiligten und der Traum vom Hund entwickelt sich
schnell zum Alptraum. Die Antwort, dass in vielen Fällen das eigentliche Problem
das Verhalten des Hundebesitzers ist und der dadurch verursachte Stress alle Symptome
erklären kann, wird in den seltensten Fällen angenommen und mit guten
Absichten, aber schlicht zu wenig Wissen stürzen sich die Hundehalter in ihrer
Münchhausentraumwelt in die Abwärtsspirale, die gleichzeitig durch die
Aufmerksamkeit, die meist unweigerlich mit der Schilderung des gemeinsamen
Leidensweges einhergeht, eine perfide Selbstbelohnung mit sich bringt.
Je dramatischer die Geschichten, je größer das Leiden und
je schwerwiegender die Opfer, die man für das Zusammenleben bringen muss, sind,
desto schneller und stärker wächst in der Regel die Anerkennung und der
Zuspruch, den man von außen erfährt. Auf die Stimmen, die zur Vernunft raten
und versuchen aufzuzeigen, dass vieles, was als Drama erlebt und ausgelebt
wird, vollkommen normal ist, wird selten gehört. Zu groß ist der Applaus aus
den umgebenden Reihen dafür, dass man sich aufopfert und der mysteriösen
Krankheit auch den nächsten Familienurlaub opfert und trotz der schlimmen
Verhaltensstörung nicht aufhört an das Gute im Hund zu glauben.
Die Zuwendung von Fremden wiegt schwerer als der
Leidensdruck der Situation und so wird manch gesunder Hund krank untersucht und
viele normale Hunde bis zur Verhaltensstörung therapiert, weil sich die
Hundehalter in ihren eigenen Fantasiewelten verrennen.
Und während man über viele Auswüchse aus dem Leben der
Hunde der Erben des Baron Münchhausen nur schmunzeln und sich fragen kann, ob
die Besitzer ihre eigenen Fantasiegebilde noch glauben, bleibt einem bei vielen
Geschichten das Lachen im Halse stecken und man hofft nur noch, dass Hund und
Halter das Ganze mit möglichst relativ geringen Schäden und Physis und Psyche
überstehen werden.