Mittwoch, 18. Februar 2015

Jörg Tschentscher "Kommando: Voran! Der Schutzhundesport im Fokus"


Unser erstes Buch – naja eigentlich ist es eher ein Heftchen, aber dazu später mehr – dreht sich um unseren Sport, den IPO Sport.  Aufmerksam wurde ich auf Jörg Tschentschers „Kommando: Voran!: Der Schutzhundesport im Fokus“ durch einen – zwischenzeitlich gelöschten - Aufruf auf Facebook in dem Herr Tschentscher ausgebildete IPO Hunde für eine Art Wesenstest suchte.

 

Neugierig geworden stöberte ich auf Amazon nach dem in der Ankündigung erwähnten Buch und wurde auch schnell fündig. Der Werbetext versprach ein Werk „Fachkundig und abseits jeder Polemik. An Fakten orientiert und mit investigativem Spürsinn entstand diese interessante Ausarbeitung.“

Immer an einer sachlichen Diskussion zum Thema Sport interessiert, drückte ich den Bestellknopf. Erst danach fiel mir auf, dass ich gerade 12,99€ für gerade einmal 80 Seiten „Buch“ bezahlt hatte. Na ja, kein Beinbruch. Sachliche Abhandlungen neigen oft dazu mit kleinem Schriftbild und ohne Bilder eine Menge Inhalt auf wenige Seiten zu bannen und Fachtexte neigen selten zum Schwafeln und verzichten gerne auf Füllsätze.

Am nächsten Tag lag das Heftchen im Briefkasten und bereits die Hoffnung auf das Layout wurde enttäuscht:  Großes Schriftbild, größere Absätze und noch größere Abbildungen. Bereits der Blick auf das Cover lässt die ersten Zweifel an der Objektivität aufkommen. Neben einer Schäferhund Silhouette  ziert ein Stachelhalsband eingebaut als O im Wort „Fokus“ den Buchdeckel. Das Vorwort einer Psychologin und freien Autorin schlägt in dieselbe Kerbe. So wir bei der Frage nach den Assoziationen beim Wort  Schutzhundesport der Fokus sofort weg vom Sport zum Hamburger Beißunfall gelenkt, bei dem der kleine Volkan getötet wurde. Plötzlich ist die Rede von „zerfetzten Kindergesichtern“ (Seite 6). Die Antwort, was zwei im Hinterhof illegal scharf gemachte American Staffordshire Terrier mit dem IPO Sport zu tun haben, bleibt die Dame dabei schuldig. Der Gedanke an das totgebissene Kind, bleibt jedoch im Hinterkopf.

 

Ebenso kryptisch setzt Autor Tschentscher das Buch fort und eröffnet mit einer Anekdote in der ein Riesenschnauzer einen seiner Hunde angriff. Auch hier wird die Relevanz für das Thema IPO nicht wirklich klar.

Macht der Autor die IPO Ausbildung verantwortlich für das aggressive Verhalten?

Glaubt der Autor der angreifende Riesenschnauzer hätte anders reagiert, wäre er im Agility geführt worden?

Unterm Strich ist es für den unvoreingenommenen Leser eine unglückliche Begegnung eines kleinen Hundes mit einem aggressiven Artgenossen, dessen Eigentümer veraltete Ansichten zum Thema Sozialverhalten hatte und der die Kontrollierbarkeit und Aggressionsbereitschaft seines Hundes beim Anblick kleinerer Artgenossen falsch eingeschätzt hatte. Nicht schön, aber nichts von alle dem besitzt einen pauschalen Kausalzusammenhang mit dem IPO Sport.

Weiter geht es mit Gesetzestexten unter anderem dem Hinweis, dass es laut Gesetz verboten ist, Tiere auf Menschen zu hetzen. Es ist auch gesetzlich untersagt andere Menschen mit Fäusten zu schlagen. Macht man dies jedoch in einem festgelegten Raum unter Aufsicht eines Richters, nennt man es nicht mehr Körperverletzung sondern Boxen und es wird zum anerkannten Sport. Generell beschleicht einen bei der Wortwahl immer wieder das Gefühl, dass der IPO Sport bereits in den ersten beiden Kapiteln an die Grenzen der Illegalität geredet wird. Wiederholt ergehen subtile Andeutungen, Vereine und Dachverband würden versuchen etwas zu verbergen…. Nur um es noch einmal in Erinnerung zu rufen, im Verkaufstext wurde eine sachliche Abhandlung ohne Polemik versprochen. Schon auf den ersten 20 Seiten wurde dieser Vorsatz bereits mehrfach gebrochen.

 

Auch beim Thema Gehorsam in Kapitel 3 geht es im selben Tenor weiter. Die Unterordnung wird per se schon fast als eine Art Strafaktion dargestellt und nicht als wichtiger Teil der sportlichen Prüfung angesehen. Tschentscher unterstellt, dass die meisten IPO Sportler noch immer nach der Devise „nicht geschlagen ist genug gelobt“ arbeiten. An dieser Stelle überlegt man als aktiver Sportler, ob der Herr die letzten Jahre mal einen IPO Platz betreten hat…. Denn wenn man so überlegt, was der durchschnittliche Trainingskollege an Equipment mit sich herumschleppt, das ausschließlich für die Belohnung sorgt – begonnen vom einfachen Ball über TopMatic, Ballwurfmaschinen und Futtermaschinen – muss man bei dieser Aussage dann doch mal kurz und herzlich lachen. Zwar kommt wie immer nach 20 Sätzen in denen geschildert wird, wie schrecklich Unterordnung und das zugehörige Training doch ist, ein Halbsatz zur Relativierung des Ganzen, dass doch mancher langsam beginnt anders zu trainieren. Ist man jedoch ein etwas unaufmerksamer Leser, geht dieser schnell unter.

Generell treibt die Sparte Unterordnung den Autor zu recht eigenartig anmutenden Assoziationen. So geht der erste Diskurs zum Milgram Experiment und schließlich geht der Vergleich zum DDR Bürger der sich eines Tages gegen seine Unterdrückung gewehrt hat und dies sei auch beim IPO Hund im Alter zu erwarten….

Ja ich musste das Kapitel mehrmals lesen, um Herrn Tschentschers Argumentation hier folgen zu können. So wie ich es verstanden habe, ist Unterordnung per se eine gewaltsame Unterdrückung des Hundes gegen die er sich früher oder später auflehnen wird. Der moderne Hund ist jener der in Symbiose lebt und kein Interesse daran hat, für den Menschen zu arbeiten. Denn es gibt wohl immer wieder unzählige alte Schutzhunde die sich auflehnen und aggressiv werden.

Öhm ja…

Schon fast ironisch wirkt es dann, dass der Autor am Ende des Kapitels das Grundgesetz zur Würde des Menschen zitiert. Eigentlich will er den Bogen über Bekoffs Erkenntnisse zur Würde des Hundes schlagen, doch mich beschleicht nach diesem Text immer mehr das Gefühl, dass Tschentscher die unantastbare Würde zwar dem Hund, aber wohl nicht dem IPO Sportler zuspricht.  Denn in nur drei Kapiteln ist man schon mittendrin im Gewirr aus Unterstellungen und Anklagen und den immer wieder süffisanten Seitenhieben – ich sage nur „Sichtschutzzaun“.

Um den Reigen der Vorurteile fortzusetzen geht es weiter mit den üblichen Starkzwangmitteln, die selbstverständlich nur in der IPO zu finden sind (Vorsicht Ironie) und Herrn Tschentschers etwas verschobener Vorstellung vom Aufbau des Schutzdienstes. Nein, der Hund wird nicht so lange mit dem Softstock geschlagen, bis er aggressiv nach vorne geht und die gespaltenen Klapperstöcke werden nicht im IPO sondern im Ringsport verwendet, hier wäre es angebracht, seine Recherchen ordentlich zu machen.

Das angesprochene Rangreduktionstraining hat nichts mit IPO zu tun, sondern ist ein etwas bizarres Erziehungsmodell das aus der „modernen“ Hundeerziehung stammt, weil Ignorieren ja die humanste und einzig erlaubte Strafe sein soll.

Zum Abschluss des vierten Kapitels gibt es noch einmal eine ausführliche Auflistung möglicher Starkzwangmittel und Strafvarianten, die – wie wir ja alle wissen – nur in der IPO vorkommen, denn kein Kleinhundehalter hebt seinen Hund an der Leine hoch und auch Mischlingshalter nutzen nie Moxonleinen, wenn der Hund zieht…. Falls sich an dieser Stelle jemand beschweren möchte, anders als der Autor habe ich nie versprochen, dass dieser Text nicht polemisch werden wird!

 

Die Theorie, dass der Canide von Haus aus zur Konfliktvermeidung neigt, ums ich selbst zu schützen, mag für Wildhunde und verwilderte Hunde zutreffen. Der Haushund, der mit allen Ressourcen im Überfluss versorgt wird, geht hier gern andere Wege. Ein Fakt den Ray Coppinger in seinem Buch „Hunde“ sehr aufschlussreich anhand der aufeinandertreffenden Populationen von Haushunden und Straßenhunden in Mexiko behandelte.

Und erneut muss in Kapitel 5 der Tod des kleinen Volkans in Hamburg als Argument gegen den IPO Sport herhalten. Im Anschluss kommt mein persönliches Liebling“problem“, eine Befürchtung die ich schon aus Kindertagen als Anti-IPO Argument kenne und die ich schon als 9jährige nicht verstanden habe. Nämlich die Gefahr, der Hund könne einen Gipsarm als Hetzarm missdeuten und herzhaft zupacken….

Wir trauen unseren Hunden so viel zu, nur zwei Kapitel weiter vorne verwies Tschentscher auf Becoff der die emotionalen und kognitiven Fähigkeiten in diversen Artikeln und Büchern beschreibt und auf einmal ist der Hund doch wieder nur ein dummes triebgesteuertes Tier, das den Unterschied zwischen dem Training mit Figuranten und den Passanten mit der Gipsschiene auf dem Bürgersteig nicht unterscheiden können soll?

Und es gibt gleich die nächste Batterie an Vorurteilen hinterher…. IPO Hunde leben im Zwinger, meistens auch noch allein, Spaziergänge gibt es nicht, nur zweimal die Woche zum Hundeplatz, kein Kontakt zu Artgenossen, Maulkorb, Unterordnung, so lange durch den Helfer bedrohen und schlagen bis er beißt und durch diese Vermischung aus sozialer Isolation, dem Aufbau der Aggression und Förderung des Beuteverhaltens werden sie gefährlich. Die Hunde können nicht auf Decken schlafen, weil sie diese aus Stress zerreißen und deshalb haben so viele IPO Hunde Liegeschwielen und am Ende des Absatzes brummt dem Leser der Schädel, weil man sich fragt, wie man so viele Klischees auf nur eine Seite packen und im Brustton der Überzeugung behaupten kann, sie seien Standard.

Die anschließende Erkenntnis, dass große ungestüme Hunde für Kinder generell gefährlich werden können, einfach auf Grund des Kräfteverhältnisses, ist nichts Neues und trifft genau so auf den Agility Hund zu. Aber mal wieder liegen solche Probleme nur im IPO.

Man bekommt bei Tschentschers Beschreibungen immer mehr den Eindruck, der normale IPO Hund lebe in einer Blase, die komplett von der Außenwelt abgeschirmt ist, ein Sportgerät, das man am Ende des Trainings einfach in eine schwarze Kiste sperrt und unter dem Bett verstaut, bis es wieder zum Hundeplatz geht. Mag sein, dass es diese Hunde auch heute noch gibt. Sieht man sich aber nur ein bisschen in der realen Welt um, sieht man die IPO Hunde beim Spaziergang mit der ganzen Familie und danach auf der Couch schlafen. Die Zeiten der „Maschine Hund“ sind vorbei, schon allein deswegen, weil man mit diesen Tieren keinen Blumentopf mehr gewinnen kann, weil die Richter heutzutage etwas anderes in der Prüfung sehen wollen. Ja die Argumentation ist arbeitsgebunden, denn die Tatsache, dass auch IPOler ihre Hunde schlicht lieben, wird einem doch eh niemand glauben.

 

Zu Herrn Tschentschers Schlussfolgerung zur Anzahl der beziehbaren Maulkörbe für Schäferhunde sage ich einmal nichts. Das gleiche gilt für die Sache mit der Beißstatistik…. Herr Tschentscher nennt in seiner Literaturliste auch die Dissertation von Dr. Roman Mikus der sich mit der Auswertung von Sachverständigengutachten nach Beißvorfällen beschäftigt hat. So führt Herr Tschentscher auf, dass hohe Welpenzahlen nicht zwangsläufig das Auftreten in der Beißstatistik in höheren Rängen bedingen. Als Beispiel nennt er den Dackel, der trotz hoher Wurfzahlen nur unter ferner liefen in der Statistik auftaucht. Hätte Herr Tschentscher die Dissertation genau gelesen, hätte er eine Antwort auf seine Frage. Dr. Mikus schlussfolgert, dass Beißvorälle mit kleinen Rassen auf Grund der geringen Verletzungen schlicht seltener angezeigt werden, als Vorfälle mit großen Hunden. Doch auf solchen Umwegen möchte der Autor wohl nicht denken. Der hohe Rang in der Beißstatistik erklärt sich durch die Ausbildung, der Deutschen Schäferhunde.

Woher die Überzeugung kommt, dass man neben der zwei Stunden IPO die Woche die restlichen 166 der Woche nicht anteilig nutzen kann, um dem Hund das Alltagsleben nahe zu bringen, ist mir unbegreiflich.

 

Sehr schön sind auch die Beschreibungen der Hundeführer die „solche“ Hunde führen und ausbilden. Im Grunde ist der durchschnittliche IPO Hundeführer nach dieser Auflistung eine Pfeife, die entweder zu wenig Selbstbewusstsein hat, ein Brutalo der seinen Hund unterdrücken will, ein Ewiggestriger der gerne Polizeihund spielt und seinen Hund auf Leute hetzen möchte oder ein Feigling der vom großen Hund zu seinem Schutz träumt.

Kurzum ein Dummkopf der keine Ahnung von seinem Hund und dessen Bedürfnissen hat. Wie war das noch gleich mit der Würde des Menschen… ach ich vergaß, das gilt ja nicht für IPO Sportler.

 

Im vorletzten Kapitel wird dann noch einmal tief in die Klischeekiste gegriffen und die „Ansichten“ der Bevölkerung geschildert. Von den Medien geprägte Bilder von zerfleischten Kindern und zähnefletschenden Schäferhunden werden heraufbeschworen, der IPO Sportler als „Gruppierung am Rande des Gesellschaft“ gesehen. Denn mit einem IPO Hund ist man offensichtlich ein Aussätziger in der heutigen Gesellschaft. Hierarchien sind per se etwas Böses und die Tatsache dass Anfänger sich Dinge erarbeiten müssen und sie ihnen nicht von alleine in den Schoß fallen, wird auch kritisiert. Natürlich kommt auch der obligatorische Sichtschutzzaun wieder in die Kritik und auch das Vereinsleben ist anscheinend per se ablehnungswürdig und nur dazu gedacht, den Mitglieder eine Gehirnwäsche zu verpassen und sie am selbstständigen Denken zu hindern.

Nur zur Erinnerung wir sprechen immer noch über Hundesportvereine und nicht über Scientology.

 

Natürlich kommt am Ende erneut das Plädoyer für den charaktersicheren Alltagshund und erneut bleibt Herr Tschentscher die Antwort schuldig, wieso dies zwar beim Agility Hund und auch beim modernen Obidience Hund möglich sein soll – wir erinnern uns in Kapitel 3 war die Unterordnung noch eine Art Nemesis – aber nicht mit dem IPO Hund.

 

…und am Ende sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Mir ist bewusst, dass das Buch aus bestimmten Richtungen mit Lob nur so überschüttet und von allen IPO Gegnern als „großer Durchbruch“ gefeiert werden wird. Fachkundig und ohne Polemik war hier jedoch leider nichts. Es gab erneut die Aneinanderreihung der üblichen Vorurteile und Unterstellungen, garniert mit ein paar Spitzen gegen Sport und Sportler. Nichts Neues auf den überteuerten bedruckten 80 Seiten, die Herr Tschentscher hier abgeliefert hat, aber es trifft den Zeitgeist und wird sich reißend verkaufen, da bin ich sicher. So lange Hund in der Öffentlichkeit nur die reißende Bestie oder das treudoofe Kinderspielzeug sein kann und nichts dazwischen, wird man sich wohl weiterhin mit solchen unreflektierten Abhandlungen auseinandersetzen müssen.

 

An dem Tag an dem sich ein Kritiker wirklich objektiv mit dem Thema auseinandersetzen möchte, denke ich steht jeder aktive Sportler gerne für eine konstruktive Diskussion zur Verfügung. So lange aber nur Herrn Tschentscher „Kommando: Voran!“ in den Bücherregalen steht, gehe ich in Ruhe für unsere Prüfungen trainieren und amüsiere mich darüber, dass diese Rezension fast genau so viele Zeichen enthält wie das Buch selbst, aber nur die Hälfte an Rechtschreib- und Grammatikfehlern.

1 Kommentar:

  1. Sehr schön geschrieben und danke dafür, dass ich mir die 12,99 sparen konnte und den besseren Text lesen durfte... ;)

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