Donnerstag, 14. September 2017

Einen Sommer lang...




Die Ferien sind vorbei, auch die letzten Urlauber sind auf dem Weg nach Hause und viele kommen nicht alleine zurück aus dem Süden. Man hat sich im Urlaub verliebt, in den struppigen Streuner vom Strand, den armen vernachlässigten Windhund der zwei Straßen vom Hotel entfernt im Verschlag gehalten wurde, oder oder…
Manche investieren Geld, lassen den Hund in Pension bei einer Tierschutzorganisation vor Ort bis die Gültigkeit der Impfungen in Kraft tritt, andere packen den vierbeinigen Liebling zwischen die Koffer und schmuggeln ihn – in der Hoffnung nicht kontrolliert zu werden – durch halb Europa. Doch was unter der Sonne des Südens im Taumel der ersten Verliebtheit noch wie eine tolle Idee und die Erfüllung aller Träume schien, kann im Alltag schnell umschlagen.
Natürlich gibt es ein paar Wenige, die sich die Rettungsaktion des neuen Seelenverwandten vom Straßenrand gut überlegt und mit allen Konsequenzen durchdacht haben, es gibt die, die einfach Glück haben und einen gesunden, anspruchslosen und anpassungsfähigen Begleiter bekommen haben und dann gibt es noch die Anderen…
Die ersten Tage ist man noch im Freudentaumel über den neuen Mitbewohner, doch dann beginnen die Probleme. Der Hund, der zuvor so sorglos draußen durch die Straßen streifte, weigert sich plötzlich die Wohnung zu verlassen, beginnt zu schreien, wenn man ihm ein Geschirr anlegt und schlägt vor Panik Saltos, um es wieder los zu werden. Hat man es dann doch geschafft, den Hund ins Freie zu befördern, versucht er sich in jeder Ecke zu verkriechen und wenn man die Leine nicht wirklich ordentlich festhält, startet er in einer plötzlichen Angstattacke durch und verschwindet am Horizont.
In den ersten Wochen nach dem Urlaub zieren jedes Jahr wieder unzählige Suchplakate nach entlaufenen Hunden Bäume, Straßenlaternen und Internetplattformen. Manche Hunde schaffen es nicht einmal bis ins neue Zuhause, sondern ergreifen bereits bei einer kurzen Rast am Autobahnparkplatz die Flucht. Glücklich kann sich von ihnen schätzen, wer es lebend von der Autobahn wegschafft. Andere fliehen in Panik beim ersten Gassigang oder türmen einfach aus dem Garten, weil ein Zaun für sie nie ein besonderes Hindernis war in ihrem bisherigen Leben. Manche dieser Hunde tauchen wieder auf, entweder lebend in einem Tierheim oder tot im Straßengraben, manche bleiben verschwunden.
Doch auch wenn der neue Besitzer die Leine festhält und das Geschirr nicht verrutscht, ist das neue Leben mit der Sommerliebe nicht so rosig, wie man sich das gedacht hatte. Der neue Begleiter ist nicht stubenrein, alleine bleiben kann er auch nicht und ist das in den restlichen Urlaubstagen nur eine Unannehmlichkeit an der man noch arbeiten möchte, wird es zu einem ernsthaften Problem sobald die Kinder wieder in der Schule oder man selbst in der Arbeit ist. Möbel, Böden und Türen leiden ebenso wie die Nerven der Nachbarn.
Wirklich fressen will der neue Hund auch nicht. Egal was man in den Napf füllt, es wird misstrauisch beäugt, kurz angeleckt und stehen gelassen. Mensch ist verwirrt, denn eigentlich sollte der Gerettete, der doch vorher fast verhungert wäre, sich auf den vollen Napf stürzen und sich im siebten Himmel fühlen. Doch der Hund verweigert alles was im dargeboten wird. Draußen frisst er jeden Müll den er neben der Hauptstraße findet, ist er allein zu Hause plündert er den Müll und frisst ihn samt Plastiktüte. Weil irgendwann auch noch Durchfall dazu kommt und man sich langsam wirklich Sorge um die Gesundheit seiner Sommerliebe zu machen beginnt, besucht man den Tierarzt. Und zur eigenen Bestürzung wird man dort nicht für sein Engagement und seine Tierliebe gelobt, sondern erhält erstmal einen verbalen Einlauf für die illegale Einfuhr und die Drohung einer Anzeige sollte man sich nochmals zu solchem Unsinn hinreißen lassen. Darum reagiert man auch etwas ungehalten, wenn der Tierarzt zu einem großen Check inklusive Mittelmeerkrankheiten rät, man möchte sich ja nicht abzocken lassen. Also nur schnell allgemeine Untersuchung, Zähne anschauen, Kotprobe nehmen. Hier fallen zum ersten Mal die Worte „nicht vorhandene Futterprägung“ und „Stress“ als Ursachen für die Probleme.
Unter ersterem kann man sich nicht wirklich etwas vorstellen und zweiteres schmettert man ab, immerhin war das Leben auf der Straße und der tägliche Überlebenskampf viel mehr Stress als das gemütliche Leben in der Stadtwohnung mit den schönen Runden durch den Park, die man nach zwei Wochen auch schon fast ohne Kreischen beim Anlegen des Geschirrs tragen kann.
Also nimmt man die Sommerliebe wieder mit nach Hause, wartet auf die Ergebnisse und kauft noch ein weiteres Futter, diesmal mit mediterranen Kräutern, vielleicht mag der Südländer ja das fressen.
Zwei Tage später kommt dann der Anruf vom Tierarzt, die Kotprobe führt ein gewaltiges Eigenleben. Die Nerven liegen langsam blank. Nicht nur dass man den wurmdurchsetzten Kot gerade mal wieder aus dem Kinderzimmer wischt und sich die Nachbarn mal wieder beschwert und mit dem Vermieter gedroht haben, weil der Hund ständig heult, war man ohnehin kurz davor wieder beim Tierarzt anzurufen. Als man mit dem Hund einen kleinen Ausflug machen wollte, ist das Treffen mit zwei anderen Hunden nicht so gelaufen wie erwünscht, die überschäumend freundliche Annäherung des eigenen Hundes wurde brutal abgeschmettert und nun humpelt der Liebling.
Wieder in der Tierklinik bekommt man als erstes eine Tüte mit Medikamenten gegen Einzeller, Würmer und sonstige Parasiten, die sich im Darm tummeln, dann geht es ab auf den Röntgentisch. Eine frische Verletzung ist nicht zu sehen, dafür eine alte. Irgendeinen Zwischenfall schien es schon einmal gegeben zu haben, zumindest sieht die Hüfte nicht normal aus und die Arthrose wächst bereits kräftig. Behandlung nur konventionell möglich, der Hund wird damit leben müssen. Schonung, Medikamente, Physiotherapie zum Muskelaufbau, keine großen sportlichen Unternehmungen und die Treppen bis hoch in die Wohnung sind tägliches Gift. Und wieder der Rat zur Sicherheit auf die gängigen Mittelmeerkrankheiten testen zu lassen.
Erneut lehnt man ab, nimmt die Medikamente mit nach Hause, behandelt Durchfall und Schmerzen und versucht sich daran zu erinnern, wie schön es doch zu Beginn war, als man sich am Strand verliebte, den neuen Freund mit Brotresten aus dem Restaurant gefüttert hat und beschloss, dass er sein Leben mit einem verbringen soll.

In der Zwischenzeit ist ein halbes Jahr vergangen. Die erste Abmahnung vom Vermieter ist ins Haus geflattert, zusammen mit der Rechnung für die wöchentliche Sitzung bei der Tierphysiotherapie und die Schmerzmedikamente und auch die Abbuchung für die Trainer Einzelstunden vom Konto kam gerade. Der Hund hat immer noch nicht gelernt ohne Terror alleine zu bleiben, deshalb soll nun bald ein Tiersitter her, der sich um ihn kümmert. In der Hundetagesstätte weigert man ihn sich aufzunehmen, so lange er die großen nässenden Ekzeme auf den Beinen hat, die sich vor ein paar Monaten gebildet haben. Der Tierarzt hat mehrere Tests durchgeführt und mal wieder davon gesprochen, dass es vom Stress kommt, Leckekzeme. Die Kinder haben das Interesse am Hund längst verloren, die Freundschaft zwischen Nachwuchs und Vierbeiner war vorbei als er zum widerholten mal auf ihre Sachen uriniert und das Spielzeug zerbissen hatte. Gassigehen können sie mit dem Hund auch nicht, weil immer noch die Gefahr besteht, dass er sich bei einem unerwarteten Geräusch losreißt und davonläuft.
Und langsam merkt man, dass die Liebe, die unter südlicher Sonne doch so heiß gelodert hat, im gemeinsamen Alltag schneller abkühlt als man gedacht hatte und eines Tages liegen dann zwei Dinge auf dem Küchentisch… Die Tageszeitung mit Anzeigen für Häuser in ruhiger Lage und die Telefonnummer des Tierheimes. Manch einer wird den Kampf um seine sommerliebe aufrechterhalten und sein ganzes Leben und das seiner Familie auf die Bedürfnisse des neuen Gefährten runterbrechen und manch einer wird die Trennung durchziehen, denn nicht jede Sommerliebe hält länger als bis zum ersten Winter.


P.S. Da mir bewusst ist, dass sich gleich wieder ein Mob finden würde, der von Schwarzmalerei reden wird, die Geschichte ist eins zu eins so passiert. Die Entscheidung der Dame möchte ich jedoch offenlassen. Da kann sich jeder seine eigene „richtige“ Version denken.