Kaum ein Thema spaltet die Hundewelt so sehr, wie das der
Kastration beim Hund. Wer erleben möchte, wie eine Diskussion so richtig
eskalieren kann, muss nur dieses eine Schlagwort in die Runde werfen und
warten, bis die Extremisten auftauchen und sich gegenseitig an die Kehle gehen.
Aus diesem Grund habe ich mich bei dieser Rezension für
eine etwas andere Herangehensweise entschieden.
Derzeit findet der geneigte Hundehalter drei nennenswerte
Bücher zu dem Thema auf den Markt. Das älteste Buch stammt von der Tierärztin
Dr. Gabriele Niepel und erschien unter dem Titel „Kastration beim Hund –
Chancen und Risiken – eine Entscheidungshilfe“ 2007 bei der Franckh-Kosmos
Verlags-GmbH & Co.KG. Vier Jahre später brachten die Tierärztin Sophie
Strodtbeck und Udo Gansloßer, Privatdozent für Zoologie an der Universität
Greifswald im Müller Rüschlikon Verlag „Kastration und Verhalten beim Hund“ auf
den Markt. Das neueste der drei Bücher „Kastration & Sterilisation beim
Hund“ geschrieben von Tierschützerin Clarissa von Reinhardt und Tierarzt Dr.
Michael Lehner, erschien 2013 im animal learn Verlag.
Und diese drei möchte ich hier mal im groben Vergleich
gegenüberstellen.
Alle drei Bücher setzen sich dasselbe Ziel, sachlich und
unvoreingenommen über die Chancen und Risiken einer Kastration beim Hund
aufzuklären. Bereits auf den ersten
Blick hebt sich das Buch von Gabriele Niepel etwas ab. Die beiden neueren Werke sind eher schmal mit
158 und 134 Seiten, dafür zeigen sie ein buntes Innenleben, mit diversen Fotos,
farbig unterlegten Tabellen und Illustrationen. Das ältere Buch präsentiert
sich wesentlich dezenter, mit nur wenigen Fotos, Diagrammen und Illustrationen
in der Mitte des Buches, dafür mit deutlich mehr Text auf 254 Seiten.
Dr. Niepel verarbeitet in ihrem Buch unter anderem die
sogenannte Bielefelder Kastrationsstudie, eine Umfrage, die unter 1010
Hundehaltern zu ihren Erfahrungen mit der Kastration und deren Auswirkungen auf
den Hund durchgeführt wurde. Niepel stellt die Ergebnisse dieser Studie in
Relation zu anderen wissenschaftlichen Studien und diskutiert die Ergebnisse
sachlich, warnt jedoch davor, dass viele Punkte der Umfrage auch sehr subjektiv
bewertet wurden und man dies bei Ansicht der Ergebnisse immer im Gedächtnis
behalten muss. Niepel nimmt sich zu dem viel Raum für eine ausführliche
Darstellung von Zyklus der Hündin, Sexualverhalten und Biologie der Hunde. Auch
die einzelnen Operationsmethoden, andere Möglichkeiten zur Unfruchtbarmachung
der Hunde, deren Vorteile und Risiken und auch die Risiken der Kastration
werden eingehend beleuchtet. Auch zu den
meist genannten Kastrationsgründen bezieht Niepel in ihrem Buch ausführlich
Stellung. So werden wissenschaftliche Untersuchungen in Hinsicht auf die
Gesundheitsvorsorgewirkung der Kastration, der Verhaltensbeeinflussung beim Rüden.
Die Frage in wie weit Kastrationen ohne medizinischen Grund durch das
Tierschutzgesetz abgedeckt sind, arbeitet Niepel mit Hilfe von Kommentaren zum
Gesetzestext auf. So kommt „Kastration beim Hund“ zu dem Schluss, dass durch
die Novellierung des § 6 Tierschutzgesetz im Jahre 2000 die Kastration ohne
medizinische Indikation in eine rechtliche Grauzone gerutscht ist, so dass die
Frage, ob tierschutzrechtlich relevant oder nicht, nicht mehr eindeutig
beantwortet werden kann, da die Formulierung des Gesetzes einen sehr großen
Interpretationsspielraum lässt. Generell trägt die Autorin eine sehr objektive
Haltung zum Thema Kastration nach außen. Wirklich ablehnend äußert sie sich nur
gegenüber der Frühkastration.
Ohne eigene Studie gehen Strodtbeck/Gansloßer in ihrem
„Kastration und Verhalten beim Hund“ ans Werk. Ihre Beispiele entnehmen sie
ihrer beruflichen Praxis als Hundetrainer und Verhaltenstherapeuten. Die
Abhandlung der biologischen Grundlagen ist ausführlich und gerade für Anfänger
in dem Thema werden die Wirkungen der Hormone und ihre Regelkreisläufe im
Organismus sehr detailliert und nachvollziehbar dargestellt. Wie auch Nippel sprechen sich
Strodtbeck/Gansloßer kategorisch gegen die Frühkastration aus. In allen
weiteren üblichen Kastrationsgründen gehen sie ausführlich auf die
Erfolgsaussichten und mögliche Risiken ein. Auch die Frage nach der
Gesundheitsvorsorge durch Kastration wird eingehend behandelt. Selbiges gilt
für die gängigen Kastrationsgründe, anhand von diversen Forschungsarbeiten
werden bei jeder möglichen Indikation Pro und Contra abgewogen und an
individuellen Beispielen verdeutlicht. In der Diskussion rund um das
Tierschutzgesetz und Kastrationen beziehen Strodtbeck/Gansloßer ganz deutlich
Stellung und bewerten sie ohne akute medizinische oder verhaltenstechnische
Indikation als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Auch wird in diesem Buch explizit auf Risiken
und unerwünschte Nachwirkungen der Kastration eingegangen. Obwohl das Buch sich um Objektivität bemüht,
merkt man beim Lesen immer wieder deutlich, dass die Autoren dem Thema sehr
kritisch mit einer eher ablehnenden Tendenz gegenüberstehen.
Ganz anders das neueste Buch zum Thema „Kastration &
Sterilisation“ von Lehner/Reinhardt. Bereits im Vorwort wird explizit darauf
hingewiesen, dass dieses Buch eine Art Gegenentwurf zum Werk von
Strodtbeck/Gansloßer sein soll. Leider wird dieser Gegenentwurf nicht sachlich
argumentiert, sondern sehr früh ist deutliche Polemik in der Gegenargumentation
zu erkennen und es werden deutliche verbale Attacken gegen die anderen Autoren
gestartet. Auch wird zu Beginn des Buches sehr emotional diskutiert und mit
weiteren Themenkreisen wie Massentierhaltung, Tötungsstationen und Schicksal
von südländischen Straßenhunden Stimmung gemacht, bevor es an die Präsentation
der Fakten geht.
Die biologischen Fakten, Zyklus der Hündin, der Hormonhaushalt,
die Wirkung der einzelnen Hormone, verschiedene Operationsmethoden und die
OP-Nachsorge werden ausführlich vorgestellt. Anders sieht es mit den
medizinischen Gründen für die Kastration aus, diese werden sehr schnell und
oberflächlich abgehandelt.
Das Herzstück des Buches stellt wie bereits bei Niepel
eine eigene Umfrage, in diesem Fall durchgeführt unter 1121 Hundehaltern, rund
um ihre Erfahrungen mit der Kastration und ihren Auswirkungen. Anders als bei Nippel
werden die Ergebnisse jedoch nicht in Relation gesetzt oder kritisch
diskutiert, sondern werden unreflektiert als feststehende Beweise präsentiert.
Im weiteren Verlauf wird kurz auf mögliche Auswirkungen
der Kastration eingegangen, wobei sehr auffällig ist, dass die Kastration stets
in einem sehr positivem Licht dargestellt wird. Die meisten Risiken und
Probleme die bei den vorhergehenden Büchern genannt wurden, werden kurzerhand
weggewischt. Besonders auffällig ist dies im Zusammenhang mit der
Frühkastration, vor der die anderen Autoren massiv warnen. Lehner/Reinhardt
empfehlen sie in ihrem Buch uneingeschränkt für diverse Rassen, um einer zu
erwartenden Aggression gegenüber Artgenossen vorzubeugen und verweisen auf die
Erfahrungen einer italienischen Tierschützerin, als Referenz, für die
Ungefährlichkeit dieses Eingriffs.
Zur Tierschutzfrage wird ebenso eindeutig und
gegensätzlich zu früheren Werken Stellung bezogen. Gemäß den Ansichten von
Lehner/Reinhardt wird die Kastration, egal in welcher Form, nicht durch das
Tierschutzgesetz beschränkt.
Das Buch von Lehner/Reinhardt setzt insofern, wie im
Vorwort angekündigt, einen sehr deutlichen Kontrast zu Strodtbeck/Gansloßer,
dass die Kastration durch das ganze Buch hinweg nicht wirklich kritisch
betrachtet, sondern ausschließlich positiv dargestellt wird. Nach Lektüre des
Buches bildet sich beim Leser der Eindruck, als gäbe es aus Sicht der Autoren
keinen wirklichen Grund, nicht kastrieren zu lassen. Es werden zwar einige
Verhaltensbereiche angesprochen, die durch die Kastration nicht beeinflusst
werden, aber da es gemäß „Kastration & Sterilisation beim Hund“ keine negativen
Seiten der Kastration zu geben scheint, außer der - angeblich ganz leicht
behandelbaren - Inkontinenz bei Hündinnen, ist eine durchgeführte Kastration
niemals falsch, egal zu welchem Zeitpunkt und in welchem Alter.
Einen weiteren Unterschied zeigen Lehner/Reinhardt zu den
anderen Autoren in der Wahrnehmung der Leser. Während Niepel und
Strodtbeck/Gansloßer mit ihren Texten und Erklärungen den Eindruck erwecken,
dass sie den Leser als mündigen Bürger wahrnehmen, der zu eigenen Entscheidungen
und verantwortungsbewusstem Handeln fähig ist, beschleicht einen bei
Lehner/Reinhardt wiederholt das Gefühl, dass dem durchschnittlichen Hundehalter
eben genau dies nicht zugetraut wird. Immer wieder wird darauf hingewiesen, wie
leichtfertig und inkompetent Hundehalter mit ihren Tieren umgehen und aus
diesem Grund die Kastration zur Verhinderung von Trächtigkeiten durchgeführt
werden muss. Die Tatsache, dass dies immer wieder und wieder wiederholt wird,
hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack, fühlt man sich als Leser schließlich
nicht ernst genommen.
Befremdlich ist auch, dass wiederholt darauf hingewiesen
wird, dass zum Thema Kastration und Auswirkung kaum Studien existieren und
gleichzeitig ein 17 Seiten langes Literaturverzeichnis folgt, in dem der
interessierte Leser unzählige wissenschaftliche Arbeiten rund um Bereiche aus
eben diesem Themengebiet findet.
Drei Bücher, ein Thema, drei teilweise extrem abweichende
Meinungen. Auch wenn es das Älteste aus
der Reihe sein mag, so ist Gabriele Niepels „Kastration beim Hund“ deutlich das
ausführlichste und objektivste Werk. Ein Wehmutstropfen ist, dass der
Kastrationschip und seine Anwendung in diesem Buch nicht zur Sprache kommen, da
er bei dessen Erscheinen noch nicht auf dem Markt war. Strodtbeck/Gansloßers
„Kastration und Verhalten beim Hund“ bemüht sich um Objektivität, allerdings
gelingt es dem sonst gut geschriebenen Buch nicht immer so, dass man an einigen
Stellen die deutlich kritische Tendenz bemerken kann. Dennoch ist das Buch zum
Einstieg in die Thematik gerade in Hinsicht auf die Funktion der Hormone im
Körper gut geeignet. Keine Empfehlung
kann es hingegen für „Kastration & Sterilisation beim Hund“ von
Lehner/Reinhardt geben. Zu sehr ist man bemüht, das Vorgängerwerk anzugreifen
und zu widerlegen und auch von einer sachlichen Diskussion des Themas ist man
zu oft weit entfernt und verlegt sich auf emotionale Argumente.
Um es kurz zu sagen:
Wer sich in erster Linie zu den gesundheitlichen
Auswirkungen der Kastration informieren möchte, sollte das Buch von Dr. Niepel
kaufen.
Wer sich in erster Linie zu den charakterlichen
Auswirkungen der Kastration informieren möchte, sollte das Buch von Strodtbeck
und Gansloßer kaufen.
Wer seinen Hund kastrieren lassen will und nur noch
einmal lesen möchte, dass er auf jeden Fall das richtige macht, ohne viel
nachdenken zu müssen, sollte das Buch von Reinhardt und Lehner kaufen.
Als nächstes auf der Leseliste:
Gabrielle Brunner Scheidegger – „Gesunder Sport- und
Diensthund“