Mittwoch, 23. November 2016

Die Fragezeichen tanzen




„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“. Wer den Beitrag von Herrn Rütter zum Thema Qualzucht und Erbkrankheiten am vergangenen Wochenende gesehen hat, kann nachvollziehen, was Bertold Brecht dazu bewogen haben mag, diese Zeilen zu schreiben.
Die Werbetrommel wurde groß gerührt im Vorfeld, es wurden mittels Aufruf bei Facebook und Co nach interessierten Hundehaltern gesucht, die bereit waren über die rassetypischen Erkrankungen ihrer Hunde zu sprechen und ebenso wurden Besitzer von genetisch überdurchschnittlich gesunden Rassen gesucht. Zweitere Gruppe hat sich entweder nicht gemeldet oder wurde letztlich als nicht medienwirksam wieder aus dem Beitrag geschnitten, wer weiß das im Nachhinein schon.

Gespannt wartete man nun also auf den illustren Reigen der kranken Rassehunde, bei dem nicht so ganz klar war, was Vox und sein Hundeprofi damit bewirken wollen. Den Anfang machte ein Cavalier King Charles Spaniel. Spätestens seit „Pedigree Dogs Exposed“ haben viele Hundefreunde – auch jene, die diese Rasse nicht selbst besitzen – davon gehört, dass diese Rasse gehäuft unter Syringomyelie leidet, auch wurde damals in der Anzeige der Produktionsfirma gezielt nach Hunden mit dieser Erkrankung gesucht. Umso überraschender, dass der vorgestellte Cavalier nicht mit dieser Deformation leben muss. Stattdessen präsentiert sich die 10jährige stark übergewichtige kastrierte Hündin mit desaströsem Zahnzustand mit einer Reihe anderer Leiden… Patella Luxation, Inkontinenz, HD, Arthrose, Herzproblemen und noch dem ein oder anderen, das ich in der Zwischenzeit vermutlich verdrängt habe. Die Besitzerin spricht von einem „Totalschaden“ und betont immer wieder die VDH Papiere des Hundes. Doch Antworten auf die wirklich interessanten Fragen zu diesem Beispiel gibt es nicht. Die einzige Erkrankung auf der Auflistung, die als „typisch Cavalier“ gilt, ist das Herz. Doch die Frage, ob es wirklich ein genetisches Zuchtleiden ist oder einfach nur ein Ergebnis aus der Kombination von Alter, Übergewicht und kaputten Zähen, wird nicht gestellt. Kleine Rassen haben öfter Probleme mit der Patella, beim Anblick des Hundes fragt man sich aber auch hier, ob da nicht, wie bei allen Problemen des Bewegungsapparats dieses Tieres, deutlich weniger Einschränkungen bestünden, würde die kleine Cavaliertonne auf ein vernünftiges Gewicht abgespeckt. Allerdings wird der Zuschauer aufgeklärt, dass das Gewicht nur von der Kastration komme. Auf die Idee, dass diese auch für die Inkontinenz und die weiteren Blasenprobleme verantwortlich sein könnte, kommt man an dieser Stelle nicht.
Als nächstes ein Bernhardiner mit Ektropium. Das offene Auge wird gezeigt, es werden wieder die VDH Papiere betont… die Frage, wieso man beim Kauf nicht auf Elterntiere mit gemäßigten Augen geachtet hat, wird nicht gestellt. Es folgt ein kurzes Interview mit dem Rassesprecher des VDH und es geht los mit den Möpsen. Ein angeblich aufgeklärter und gut informierter Mopskäufer mit VDH Hund und eine Besitzerin (oder war sie Züchterin?) eines Retromopses (oder altdeutschen?) stellen sich dem Vergleichstest. Das Ganze wird launig aufgezogen mit Rentnerin als Kontrollgruppe für den Ausdauertest und es wird ziemlich deutlich präsentiert, wer hier die guten und wer die bösen Züchter sind. Die interessanten Fragen werden wieder nicht gestellt. Wie kann es sein, dass der gut informierte und aufgeklärte Welpenkäufer nicht schon auf den ersten Blick sieht, dass er einen Welpen mit starker Brachyzephalie vor sich hat und die Nase mehr im Schädelinneren liegt als sonst wo? Woher kommen die kurzen Beine, der lange Rücken und die plötzliche Nase bei dem anderen Mops?
Weiter geht es zum Dobermann und zur DCM. Ein sehr umfassendes Thema, immerhin mit einem Spezialisten auf dem Gebiet beleuchtet, aber auch hier bleibt man an der Oberfläche, sucht sich eine einfache Antwort mit dem Zuchtverband als Buhmann und geht nicht tiefer. Seitenweise oberflächliche Diskussionen in diversen Internetportalen zeigen, dass auch hier die wichtigen Fragen wieder gefehlt haben.

Und am Ende tanzen die Fragezeichen, um den interessierten Zuseher und man begreift nicht so ganz, was man dem geneigten Interessenten nun mit dieser Sendung sagen wollte. Aufklärung über genetische Erkrankungen einzelner Rassen, wie man sie erkennt und wie der Züchter sie vermeiden kann, wurde in keinem der vier vorgestellten Fälle betrieben. Konsens aller Beiträge war „der VDH züchtet kranke Hunde“. Wobei man auch hier nur belustigt mit den Augen rollen konnte, dass keine klare Linie zwischen Dachverband, Zuchtvereinen und einzelnen Züchtern gezogen wurde, alles war stets die große graue Masse „VDH“.

Was bleibt also übrig von diesem TV-Beitrag? Sollte es überhaupt Aufklärung sein? Oder war es nur eine clevere Zusammenarbeit mit der im Vorprogramm laufenden HundKatzeMaus Produktion, um VDH Käufer für die dort regelmäßig vorgestellten Hobbyvermehrer abzuwerben, damit die dort produzierten netten Rassehunde ohne Gesundheitsuntersuchung und Standard, die unter den Augen hysterischer aber doch so tierlieber Produzenten von der hochqualifizierten Tierhebamme zur Welt gebracht wurden, mehr Abnehmer finden?

Ich weiß es nicht. Alles was ich weiß ist, dass VDH-Bashing nun wohl auch im TV modern ist, sich die Gegner der Verbandszucht und der Zucht allgemein bestätigt fühlen, sich die Besitzer von Welpen von Hobbyvermehrern wieder auf die Schulter klopfen, weil sie klug genug waren, um die Verbandszucht einen Bogen zu machen. Ich weiß, dass dieses oberflächliche Tränengedrücke an wirklich vorhandenen Missständen nichts ändert und man nur seriösen und bemühten Züchtern aller Rassen damit weiter das Wasser abgräbt, während selbsternannte Zuchtexperten wie die Maiglöckchen aus dem Boden schießen und mit realitätsfremden und himmelschreiend naiven Universallösungen aufwarten.
Und während der Hundeprofi und sein Produktionsteam zum nächsten spannenden Fall weiterziehen um die Massen zu belustigen, ohne irgendwelche Antworten auf interessante oder auch nur im Ansatz wichtige Fragen zu liefern. Sie ziehen ihre Show durch und lassen die Fragezeichen tanzen, denn Antworten sind etwas für Philosophiestudenten und nicht für Hundebesitzer.


Sonntag, 9. Oktober 2016

Drei Bücher, ein heißes Thema: Kastration beim Hund



Kaum ein Thema spaltet die Hundewelt so sehr, wie das der Kastration beim Hund. Wer erleben möchte, wie eine Diskussion so richtig eskalieren kann, muss nur dieses eine Schlagwort in die Runde werfen und warten, bis die Extremisten auftauchen und sich gegenseitig an die Kehle gehen.
Aus diesem Grund habe ich mich bei dieser Rezension für eine etwas andere Herangehensweise entschieden.
Derzeit findet der geneigte Hundehalter drei nennenswerte Bücher zu dem Thema auf den Markt. Das älteste Buch stammt von der Tierärztin Dr. Gabriele Niepel und erschien unter dem Titel „Kastration beim Hund – Chancen und Risiken – eine Entscheidungshilfe“ 2007 bei der Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co.KG. Vier Jahre später brachten die Tierärztin Sophie Strodtbeck und Udo Gansloßer, Privatdozent für Zoologie an der Universität Greifswald im Müller Rüschlikon Verlag „Kastration und Verhalten beim Hund“ auf den Markt. Das neueste der drei Bücher „Kastration & Sterilisation beim Hund“ geschrieben von Tierschützerin Clarissa von Reinhardt und Tierarzt Dr. Michael Lehner, erschien 2013 im animal learn Verlag.
Und diese drei möchte ich hier mal im groben Vergleich gegenüberstellen.

Alle drei Bücher setzen sich dasselbe Ziel, sachlich und unvoreingenommen über die Chancen und Risiken einer Kastration beim Hund aufzuklären.  Bereits auf den ersten Blick hebt sich das Buch von Gabriele Niepel etwas ab.  Die beiden neueren Werke sind eher schmal mit 158 und 134 Seiten, dafür zeigen sie ein buntes Innenleben, mit diversen Fotos, farbig unterlegten Tabellen und Illustrationen. Das ältere Buch präsentiert sich wesentlich dezenter, mit nur wenigen Fotos, Diagrammen und Illustrationen in der Mitte des Buches, dafür mit deutlich mehr Text auf 254 Seiten.
Dr. Niepel verarbeitet in ihrem Buch unter anderem die sogenannte Bielefelder Kastrationsstudie, eine Umfrage, die unter 1010 Hundehaltern zu ihren Erfahrungen mit der Kastration und deren Auswirkungen auf den Hund durchgeführt wurde. Niepel stellt die Ergebnisse dieser Studie in Relation zu anderen wissenschaftlichen Studien und diskutiert die Ergebnisse sachlich, warnt jedoch davor, dass viele Punkte der Umfrage auch sehr subjektiv bewertet wurden und man dies bei Ansicht der Ergebnisse immer im Gedächtnis behalten muss. Niepel nimmt sich zu dem viel Raum für eine ausführliche Darstellung von Zyklus der Hündin, Sexualverhalten und Biologie der Hunde. Auch die einzelnen Operationsmethoden, andere Möglichkeiten zur Unfruchtbarmachung der Hunde, deren Vorteile und Risiken und auch die Risiken der Kastration werden eingehend beleuchtet.  Auch zu den meist genannten Kastrationsgründen bezieht Niepel in ihrem Buch ausführlich Stellung. So werden wissenschaftliche Untersuchungen in Hinsicht auf die Gesundheitsvorsorgewirkung der Kastration, der Verhaltensbeeinflussung beim Rüden. Die Frage in wie weit Kastrationen ohne medizinischen Grund durch das Tierschutzgesetz abgedeckt sind, arbeitet Niepel mit Hilfe von Kommentaren zum Gesetzestext auf. So kommt „Kastration beim Hund“ zu dem Schluss, dass durch die Novellierung des § 6 Tierschutzgesetz im Jahre 2000 die Kastration ohne medizinische Indikation in eine rechtliche Grauzone gerutscht ist, so dass die Frage, ob tierschutzrechtlich relevant oder nicht, nicht mehr eindeutig beantwortet werden kann, da die Formulierung des Gesetzes einen sehr großen Interpretationsspielraum lässt. Generell trägt die Autorin eine sehr objektive Haltung zum Thema Kastration nach außen. Wirklich ablehnend äußert sie sich nur gegenüber der Frühkastration.

Ohne eigene Studie gehen Strodtbeck/Gansloßer in ihrem „Kastration und Verhalten beim Hund“ ans Werk. Ihre Beispiele entnehmen sie ihrer beruflichen Praxis als Hundetrainer und Verhaltenstherapeuten. Die Abhandlung der biologischen Grundlagen ist ausführlich und gerade für Anfänger in dem Thema werden die Wirkungen der Hormone und ihre Regelkreisläufe im Organismus sehr detailliert und nachvollziehbar dargestellt.  Wie auch Nippel sprechen sich Strodtbeck/Gansloßer kategorisch gegen die Frühkastration aus. In allen weiteren üblichen Kastrationsgründen gehen sie ausführlich auf die Erfolgsaussichten und mögliche Risiken ein. Auch die Frage nach der Gesundheitsvorsorge durch Kastration wird eingehend behandelt. Selbiges gilt für die gängigen Kastrationsgründe, anhand von diversen Forschungsarbeiten werden bei jeder möglichen Indikation Pro und Contra abgewogen und an individuellen Beispielen verdeutlicht. In der Diskussion rund um das Tierschutzgesetz und Kastrationen beziehen Strodtbeck/Gansloßer ganz deutlich Stellung und bewerten sie ohne akute medizinische oder verhaltenstechnische Indikation als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.  Auch wird in diesem Buch explizit auf Risiken und unerwünschte Nachwirkungen der Kastration eingegangen.  Obwohl das Buch sich um Objektivität bemüht, merkt man beim Lesen immer wieder deutlich, dass die Autoren dem Thema sehr kritisch mit einer eher ablehnenden Tendenz gegenüberstehen.

Ganz anders das neueste Buch zum Thema „Kastration & Sterilisation“ von Lehner/Reinhardt. Bereits im Vorwort wird explizit darauf hingewiesen, dass dieses Buch eine Art Gegenentwurf zum Werk von Strodtbeck/Gansloßer sein soll. Leider wird dieser Gegenentwurf nicht sachlich argumentiert, sondern sehr früh ist deutliche Polemik in der Gegenargumentation zu erkennen und es werden deutliche verbale Attacken gegen die anderen Autoren gestartet. Auch wird zu Beginn des Buches sehr emotional diskutiert und mit weiteren Themenkreisen wie Massentierhaltung, Tötungsstationen und Schicksal von südländischen Straßenhunden Stimmung gemacht, bevor es an die Präsentation der Fakten geht.
Die biologischen Fakten, Zyklus der Hündin, der Hormonhaushalt, die Wirkung der einzelnen Hormone, verschiedene Operationsmethoden und die OP-Nachsorge werden ausführlich vorgestellt. Anders sieht es mit den medizinischen Gründen für die Kastration aus, diese werden sehr schnell und oberflächlich abgehandelt.
Das Herzstück des Buches stellt wie bereits bei Niepel eine eigene Umfrage, in diesem Fall durchgeführt unter 1121 Hundehaltern, rund um ihre Erfahrungen mit der Kastration und ihren Auswirkungen. Anders als bei Nippel werden die Ergebnisse jedoch nicht in Relation gesetzt oder kritisch diskutiert, sondern werden unreflektiert als feststehende Beweise präsentiert.
Im weiteren Verlauf wird kurz auf mögliche Auswirkungen der Kastration eingegangen, wobei sehr auffällig ist, dass die Kastration stets in einem sehr positivem Licht dargestellt wird. Die meisten Risiken und Probleme die bei den vorhergehenden Büchern genannt wurden, werden kurzerhand weggewischt. Besonders auffällig ist dies im Zusammenhang mit der Frühkastration, vor der die anderen Autoren massiv warnen. Lehner/Reinhardt empfehlen sie in ihrem Buch uneingeschränkt für diverse Rassen, um einer zu erwartenden Aggression gegenüber Artgenossen vorzubeugen und verweisen auf die Erfahrungen einer italienischen Tierschützerin, als Referenz, für die Ungefährlichkeit dieses Eingriffs.
Zur Tierschutzfrage wird ebenso eindeutig und gegensätzlich zu früheren Werken Stellung bezogen. Gemäß den Ansichten von Lehner/Reinhardt wird die Kastration, egal in welcher Form, nicht durch das Tierschutzgesetz beschränkt.
Das Buch von Lehner/Reinhardt setzt insofern, wie im Vorwort angekündigt, einen sehr deutlichen Kontrast zu Strodtbeck/Gansloßer, dass die Kastration durch das ganze Buch hinweg nicht wirklich kritisch betrachtet, sondern ausschließlich positiv dargestellt wird. Nach Lektüre des Buches bildet sich beim Leser der Eindruck, als gäbe es aus Sicht der Autoren keinen wirklichen Grund, nicht kastrieren zu lassen. Es werden zwar einige Verhaltensbereiche angesprochen, die durch die Kastration nicht beeinflusst werden, aber da es gemäß „Kastration & Sterilisation beim Hund“ keine negativen Seiten der Kastration zu geben scheint, außer der - angeblich ganz leicht behandelbaren - Inkontinenz bei Hündinnen, ist eine durchgeführte Kastration niemals falsch, egal zu welchem Zeitpunkt und in welchem Alter.
Einen weiteren Unterschied zeigen Lehner/Reinhardt zu den anderen Autoren in der Wahrnehmung der Leser. Während Niepel und Strodtbeck/Gansloßer mit ihren Texten und Erklärungen den Eindruck erwecken, dass sie den Leser als mündigen Bürger wahrnehmen, der zu eigenen Entscheidungen und verantwortungsbewusstem Handeln fähig ist, beschleicht einen bei Lehner/Reinhardt wiederholt das Gefühl, dass dem durchschnittlichen Hundehalter eben genau dies nicht zugetraut wird. Immer wieder wird darauf hingewiesen, wie leichtfertig und inkompetent Hundehalter mit ihren Tieren umgehen und aus diesem Grund die Kastration zur Verhinderung von Trächtigkeiten durchgeführt werden muss. Die Tatsache, dass dies immer wieder und wieder wiederholt wird, hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack, fühlt man sich als Leser schließlich nicht ernst genommen.
Befremdlich ist auch, dass wiederholt darauf hingewiesen wird, dass zum Thema Kastration und Auswirkung kaum Studien existieren und gleichzeitig ein 17 Seiten langes Literaturverzeichnis folgt, in dem der interessierte Leser unzählige wissenschaftliche Arbeiten rund um Bereiche aus eben diesem Themengebiet findet.

Drei Bücher, ein Thema, drei teilweise extrem abweichende Meinungen.  Auch wenn es das Älteste aus der Reihe sein mag, so ist Gabriele Niepels „Kastration beim Hund“ deutlich das ausführlichste und objektivste Werk. Ein Wehmutstropfen ist, dass der Kastrationschip und seine Anwendung in diesem Buch nicht zur Sprache kommen, da er bei dessen Erscheinen noch nicht auf dem Markt war. Strodtbeck/Gansloßers „Kastration und Verhalten beim Hund“ bemüht sich um Objektivität, allerdings gelingt es dem sonst gut geschriebenen Buch nicht immer so, dass man an einigen Stellen die deutlich kritische Tendenz bemerken kann. Dennoch ist das Buch zum Einstieg in die Thematik gerade in Hinsicht auf die Funktion der Hormone im Körper gut geeignet.  Keine Empfehlung kann es hingegen für „Kastration & Sterilisation beim Hund“ von Lehner/Reinhardt geben. Zu sehr ist man bemüht, das Vorgängerwerk anzugreifen und zu widerlegen und auch von einer sachlichen Diskussion des Themas ist man zu oft weit entfernt und verlegt sich auf emotionale Argumente.

Um es kurz zu sagen:
Wer sich in erster Linie zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Kastration informieren möchte, sollte das Buch von Dr. Niepel kaufen.
Wer sich in erster Linie zu den charakterlichen Auswirkungen der Kastration informieren möchte, sollte das Buch von Strodtbeck und Gansloßer kaufen.
Wer seinen Hund kastrieren lassen will und nur noch einmal lesen möchte, dass er auf jeden Fall das richtige macht, ohne viel nachdenken zu müssen, sollte das Buch von Reinhardt und Lehner kaufen.


Als nächstes auf der Leseliste:
Gabrielle Brunner Scheidegger – „Gesunder Sport- und Diensthund“

Mittwoch, 21. September 2016

Viel zu lernen du noch hast




Ich bezweifle, dass Meister Yoda bei diesen Worten an den modernen Hundesport dachte, dennoch passen sie ideal zu der aktuellen Situation. Auslöser für die Überlegungen ist das Video des FCI IPO WM Gewinners Harysson Ad-Gür.
Beim Video der – meiner Meinung nach wunderschönen – Unterordnung des Rüden wurde von zwei Damen bemängelt, dass der Hund keinen geraden Rücken, sondern ein starkes Gefälle habe. Ungeachtet der Tatsache, dass wir wohl alle nicht mehr erleben werden, bis sich herumgesprochen hat, dass auch eine stark abfallende Linie eine Gerade sein kann, wurde versucht zu erklären, dass dieses „Gefälle“ in weiten Teilen der Laufart des Hundes geschuldet sei. Bei der gezeigten Unterordnung lief der Hund deutlich über die Hinterhand, trat tief unter dem Schwerpunkt und hob sich dadurch in der Vorhand zu einem deutlichen Imponiertrab heraus. Die Erklärung, dass diese Art des bergauf Trabens nur möglich ist, wenn der Hund die Hintergliedmaßen stärker beugt, mit ihnen weiter unter den Körper tritt, hinten vermehrt Last aufnimmt und sich dadurch die Kruppe absenkt, wurde als Blödsinn abgetan.
Hier also der Hinweis an alle Dressurreiter, der sechste Punkt unserer Ausbildungsskale, namentlich die Versammlung, ist also Blödsinn. Denn um nichts Anderes handelt es sich bei dieser Laufform des Hundes, um eine Versammlung. Nur leider hat dieses Wissen um gewisse anatomische Abläufe in der Bewegung ihren Weg in die Köpfe vieler Hundesportler – und solcher, die sich gerne als solche bezeichnen – noch nicht gefunden. Doch nicht nur dieses Verständnis der Anatomie könnte man sich als Hundesportler aus der Reitsportszene aneignen.

Eines der großen Themen ist dabei das Warm-up. Mit dem Pferd arbeiten ohne es vorher anständig warmzureiten ist ein No Go, wie jeder Reiter von Anfang an lernt. Muskeln brauchen Zeit um warm zu werden, Gelenke verschleißen schneller, wenn sie kalt belastet werden und auch für Sehnen, Bänder und den Kreislauf ist ein Kaltstart unnötig belastend. In der Hundesportszene ist diese Vorgehensweise leider immer noch die Ausnahme. Eine schnelle Runde an der Leine um den Trainingsplatz damit der Hund sein Geschäft verrichten kann und dann geht es los mit der Arbeit. Lockeres Aufwärmen, Fehlanzeige, Fußlaufen oder Revieren reichen ja aus, damit der Hund auf Touren kommt. Wer vor dem Schutzdienst mit leichten Dehnübungen beginnt oder den Hund kurz durchmassiert bevor es in den Parcours geht, wird in den meisten Fällen nur schief angeschaut. Zwar wird es langsam Usus seine Sporthunde ab und an mal mehr mal weniger regelmäßig von Physiotherapeuten oder Chiropraktikern betreuen zu lassen, doch die Einsicht, dass die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Hundes von einem vernünftigen Aufwärmprogramm nur profitieren kann, lässt in weiten Teilen noch auf sich warten.

Gleiches gilt für die Bereiche Körperbeherrschung, Takt und Sprungtechnik. Viele Hundesportler jammern gerne, dass ihnen der Richter in der Prüfung den unnatürlichen Gang des Hundes zieht. Wirklich Zeit und Arbeit investieren aber die wenigsten in einen taktreinen Trab. Der Hund wird in seine Position gepackt und soll diese einfach nur halten. Ob er dies hoppelnd wie ein Kaninchen beim Balztanz oder schleudernd wie eine Kuh auf dem Glatteis macht, ist den meisten Hundeführern in Training vollkommen egal. Gezielte Übungen, um das Körpergefühl und damit die bewusstere Bewegung des Hundes zu fördern, stehen bei den wenigsten auf dem Trainingsplan. Dabei würde es in vielen Fällen für den Hund schon eine große Erleichterung bringen, würde der Hundeführer einmal seine eigene Gehgeschwindigkeit etwas anpassen.

Eine besondere Baustelle nimmt hier das Thema Sprungtechnik ein. Gerade bei der Meterhürde im IPO bleibt mir bisweilen die Luft weg, was sich da als „Sprung“ qualifiziert in den Augen mancher Sportler. Manche Hunde tippeln verzweifelt die Distanz abschätzend auf den Sprung zu um sich dann irgendwie über die Hürde zu winden. Andere brettern voll Trieb aber ohne Auge und Gefühl für Distanz und Höhe los, knallen im Sprung gegen die Hürde und reißen sie bisweilen sogar mit um. Wirklich gearbeitet wird an diesem Problem selten. Man stellt mal die Hürde niedriger und mal etwas höher, dreht den Trieb etwas höher in der Hoffnung, dass der Hund dann schneller Anlauf nimmt oder steckt eine Bürste oben auf, weil man glaubt, der Hund würde nicht mehr auf der Hürde aufsetzen. Die Zeit ein anständiges Sprungtraining durchzuziehen, damit sich beim Hund eine verlässliche und gesunde Technik entwickelt, nehmen sich die allerwenigsten und bekommen am Ende der Prüfung die Rechnung in Form von andauerndem Punktabzug.

Der moderne Hundesport hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Aus dem drögen Nebenherschleichen wie es früher üblich war, haben sich die freudigen und ausdrucksstarken Unterordnungen entwickelt, die man dieser Tage gewohnt ist. Vielleicht schaffen Hundesport und Sportler auch noch diese weiteren Lernschritte in angemessener Zeit zur Ausbildungsbasis werden zu lassen.