Dienstag, 26. April 2016

Vaterkomplex






…oder „Ein Plädoyer für die Hündin“.

Wir leben in einer Männerwelt und interessanter Weise, sieht es in der Hundezucht nicht anders aus. Die ganze Hundewelt scheint einen riesigen Vaterkomplex zu haben.  Beworben wird ein Wurf fast immer über den (oft namhaften) Vater, wenn man sich über einen Hund erkundigt, fragt man zuerst nach dem Vater, immer nur Vater, Vater, Vater….
 
Auf die Spitze getrieben hat diesen Vaterkomplex die Pferdezucht. Wer einmal Verlaufsanzeigen für Pferde gelesen hat, den beschleicht sehr schnell das Gefühl, dass man hier die Mutter komplett abgeschafft hat. Beworben wird ein Pferd mit dem Vater, dem MV (Muttervater) als dem Großvater mütterlicherseits und auch noch dem MMV, dem Vater der Großmutter mütterlicherseits. Manchmal stößt man noch auf die Werbung mit dem „Mutterstamm“. Aber anders als bei den Hengsten zählen hier nicht die einzelnen großen Namen und Leistungen, sondern das genetische Kollektiv, das dahintersteht.

Ganz so extrem ist die Lage in der Hundezucht noch nicht, aber es beschleicht einen auch hier immer wieder das Gefühl, als sei die Hündin nur notwendiges Übel zur Zucht, auf das man keinen besonderen Wert bei der Auswahl legen muss. Oftmals beschleicht einen das Gefühl, dass mit dem gezüchtet wird, was man eben gerade hat und da auch schlicht bereit ist, bei der Hündin Abstriche zu machen, während die Anforderungen an den Rüden umso höher sind.

Auch auf die Ausbildung legt man bei der Zuchthündin nicht denselben Wert, wie beim Deckrüden. Ich habe mir einmal die Zeit genommen und diesen Sachverhalt in einer kleinen Statistik zusammengefasst.
Ein Wort vorweg: Mir ist bewusst, dass diese kleine Erhebung nicht wissenschaftlich valide ist und dass der ein oder andere auch an der Vorgehensweise herummeckern wird. Ich habe mich an Tag X (genau genommen dem 15.04.2016) hingesetzt und habe in der Zuchtdatenbank von Working Dog die ersten hundert eingetragenen FCI Zuchten für die drei betrachteten Rassen (DSH, Dobermann, Malinois) genommen und die vorhandenen AKZ von Rüde und Hündin gezählt. Berücksichtigt habe ich hierbei nur IPO, Ringsport und KNPV – man möge mir verzeihen, dass ich französisch, belgisch Ring und Mondio einfach zusammengezählt habe. Nicht miteingerechnet habe ich nationale Zuchttests, Wesenstests, Teilprüfungen der IPO oder auch die IPO VO, ebenso wenig die Talentsichtung. Des Weiteren fielen Hunde unter die Rubrik „ohne weiterführendes AKZ“ die als „Security Dog“ oder „Diensthund im Wachschutz“ betitelt wurden oder als „geführt in XY“ oder „in Vorbereitung auf XY“ – meist mit dem Hinweis auf die unglaubliche Härte des Hundes und des Problems ihn auf Prüfungen zu führen – beworben werden, ohne dass ein AKZ jenseits der BH/VT oder einer BGH eingetragen ist. Und man möge mir verzeihen, dass ich bei den vier KNPV Hunden auf eine genauere Unterscheidung verzichtet habe.

Beim Deutschen Schäferhund zeigte sich die Kluft zwischen Rüde und Hündin am Deutlichsten. 78 der Deckrüden hatten eine IPO III, während nur 26 Hündinnen soweit ausgebildet waren. 37 Hündinnen waren mit IPO I in der Zucht, acht Stück hatten die IPO II und 29 hatten kein weiterführendes Ausbildungskennzeichen. Zum Vergleich waren nur zehn Rüden ohne AKZ als Deckrüden eingesetzt worden, acht hatten eine IPO I und vier die IPO II. Bevor an dieser Stelle schon die ersten Beschwerden kommen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in Deutschland und Österreich die IPO I zur Zuchtzulassung gehört, in anderen FCI Ländern aber auch der DSH nicht zwingend ein AKZ für die Zucht benötigt.
Beim Dobermann zeigt sich ein ähnliches Bild, allerdings mit einer – für einen Gebrauchshund – erschreckenden Entwicklung bei den Hündinnen. Hier waren insgesamt 56 ohne weiterführendes AKZ in der Zucht. Bei den Rüden waren es immer noch 24, allerdings hatte man auch bei immerhin 55 Rüden die IPO III in der Leistungsurkunde stehen, während nur 24 Hündinnen soweit ausgebildet waren. Zwölf Rüden und elf Hündinnen hatten eine IPO I, je acht Tiere beiderlei Geschlechts hatten die IPO II und je ein Hund beiderlei Geschlechts hatte Ring/Mondio Kat.2.
Der traurige Spitzenreiter in Sachen „schlechtere Ausbildung für die Zuchthündin“ belegte in dieser kleinen Stichprobe der Malinois mit 62 Hündinnen ohne weiterführendes AKZ. Bei den Rüden waren es 29 Stück, während 41 Deckrüden eine IPO III aufwiesen. Bei den Hündinnen waren es nur 23. Je vier Hunde beiderlei Geschlechts hatten die IPO I und je sechs die IPO II. Ein Rüde wurde mit Ring/Mondio Kat.1 und drei mit Ring/Mondio Kat.2 aufgeführt. In Ring/Mondio Kat.3 waren 13 Deckrüden und vier Hündinnen vertreten, sowie drei Rüden und eine Hündin mit KNPV.

Eine Menge Zahlen, die leider den Eindruck erhärten, dass man bei der Hündin leider oftmals nur das Allernötigste für die Zuchtzulassung erarbeitet und man sie dann in der Zucht verschwinden lässt.
Es ist schade, dass man immer noch so wenigen Hündinnen die Chance gibt, ihr wahres Potential zu zeigen. Leider legen aber auch viel zu wenige Welpenkäufer wirklich wert auf die Mutterhündin. Gesucht wird immer nach dem nächsten Wurf des einen oder anderen Rüden, manchmal driftet man auch schon in Richtung der Pferdezüchter ab und sucht auch die Mutter nach ihrem (möglichst) namhaften Vater.

Wie uns schon der Biologieunterricht der 9. Klasse lehrte, 50% des genetischen Materials steuert die Mutter bei. Nicht zu vergessen, dass die Mutterhündin in der Regel das einzige Elternteil ist, das direkten Einfluss auf die Entwicklung der Welpen nach der Geburt hat. Der Deckrüde ist meist nicht vor Ort und so kann sich die Nachzucht nur am Verhalten der Mutter orientieren. Eine unsichere und gestresste Hündin ist eine denkbar schlechte Begleitung für den Nachwuchs bei seinen ersten Schritten ins neue Leben.  Daher sollte man sich ebenso viel Mühe bei der Auswahl und Ausbildung der Zuchthündin geben, wie bei der des Deckrüden.

Bleibt zu hoffen, dass sich wieder mehr Züchter und Welpenkäufer darauf besinnen, dass es bei der Zucht nicht nur auf den Deckrüden ankommt und man sich nach und nach vom herrschenden Vaterkomplex lösen kann.