Es ist das übliche Bild, dass sich einem im Alltag und in
diversen Internetportalen und den sozialen Medien als Hundehalter bietet. Zig
Menschen haben sich eine bestimmte Hunderasse – in der Regel eine mit
Arbeitshintergrund – angeschafft und suchen nun verzweifelt nach Hilfe.
In einer Gruppe rund um die Ausbildung des Dobermanns
drehen sich die meisten Hilferufe darum, dass der Hund wacht, jagt, an der
Leine zieht, bellt und die Wohnungseinrichtung zerstört, obwohl man doch zweimal
am Tag eine halbe Stunde mit dem Hund spazieren geht. Zwischen den
verzweifelten Hilferufen gibt es dann diverse Hochglanz Fotos von dem schönen
schwarzen Dobermannrüden vor der schicken Wohnungseinrichtung, vor dem coolen
Motorrad oder einfach nur auf der grünen Wiese mit Frauchen in ihrem neuen
Sommerkleid und dem perfekten Make-up.
Der Besitzer eines jungen Retriever sucht verzweifelt
Hilfe, denn sein Junghund rennt die Kinder um und zwickt, dabei hatte er doch
gedacht, dass die Retriever zu den „netten Rassen“ gehören. Eine Dame ist
entsetzt darüber, dass ihr Weimaraner aggressiv auf Fremde reagiert und sich
beim letzten Besuch bei der Freundin mal schnell ein Meerschweinchen aus dem
Freilauf geschnappt und getötet hat. Dabei ist sie in guter Gesellschaft, denn
auch das Verhalten des jungen Jack Russel macht seinen Besitzern Angst, denn
der Kleine jagt alles was sich bewegt und geht an der Leine ohne Rücksicht auf
Verluste auf andere Rüden los und unerklärlicherweise ist der Border Collie
dauergestresst und schleicht dauerhechelnd durch die Weltgeschichte und das
obwohl man ein so durchdachtes Beschäftigungsprogramm mit fünfmal Agility die
Woche und täglichem Bällchenspielen hat.
Fragt man solche Leute nach dem Grund, wieso sie sich
damals eigentlich genau für diese Rasse entschieden haben, kommt immer wie aus
der Pistole geschossen dieselbe Antwort: Wir haben uns im Vorfeld gut
informiert und fanden den Charakter der Rasse so toll…
Wundert man sich dann, wieso diese Leute genau mit
den charaktertypischen Eigenschaften der einzelnen Rassen so überfordert sind,
kommt sofort ein vehementes Dementi. Das Verhalten sei doch überhaupt nicht
rassetypisch, sie wüssten doch, welchen Charakter diese Hunde hätte. Macht man
sich noch die Mühe, diese Aussage zu hinterfragen, teilt sich das Problemfeld
sehr schnell in zwei Kategorien. Die Halter der Kategorie eins haben schlicht
keine Ahnung, welchen Charakter Rasse X wirklich hat und Kategorie zwei hat
sich aus einem Zusammenspiel von 10 genannten Eigenschaften zwei herausgepickt,
die zu ihren Vorstellungen passen.
Kategorie eins hat irgendwo im realen Leben oder in den
Medien einmal einen oder mehrere Hunde der Rasse gesehen und auf diesen kurzen
visuellen Eindruck ohne viel Hintergrundwissen ihre persönliche Vorstellung von
dieser Rasse projiziert. So wird aus der Jagdgebrauchsrasse schnell ein
familienfreundlicher anspruchsloser Begleithund, denn in der Hundefutterwerbung
und auf dem Foto im Facebookprofil einer Dame haben genau solche Hunde mit
Kindern und einer Katze gespielt. Aber diese Herrschaften werden Stein und Bein
schwören und hoch aggressiv reagieren, wenn man auch nur andeutet, sie hätten
sich ihren Hund anhand seines Aussehens ausgesucht. Eine solche Behauptung ist
eine infame Unterstellung, selbstverständlich stand bei ihnen der Charakter und
nur der Charakter beim Kauf im Vordergrund und es war schlicht nicht zu
erwarten, dass ein Magyar Viszla Jagdtrieb entwickelt.
Kategorie zwei hat zumindest den Rassestandard gegoogled
und weiß, was den Charakter seiner Rasse ausmacht. Als Anforderung an das neue
Familienmitglied standen intelligent, selbstsicher und freundlich auf der
Liste. Sportlich sollte der Hund auch sein, denn immerhin geht man gerne
spazieren, so mal eine halbe Stunde am Tag und bei passendem Wetter geht man am
Wochenende schon mal etwas wandern. Schutztrieb ist nicht erwünscht, immerhin
hat man Kinder, wachen soll der Hund auch nicht, das mögen die Nachbarn nicht
so gerne und jagen ist auch doof, man will ja im Wald spazieren gehen und das
ist nur ohne Leine richtig cool. Schnell landet man nun beim Dobermann. Sieht
hübsch aus und im Standard steht ja, dass der Hund freundlich ist, selbstsicher
und auf Leistungsfähigkeit wert gelegt wird. Perfekt, denn man braucht schon
einen leistungsfähigen Hund für die ganzen Stunden in der Natur. Den Rest des
Standards, diese seltsamen Sätze mit Reizschwelle, Schärfe und Härte überliest
man, versteht man ja ohnehin nicht so genau, was das eigentlich bedeuten soll
und der geschichtliche Abriss ist ja auch egal, denn das ist die
Vergangenheit und somit vorbei. Aber natürlich weiß man, wie groß der Hund sein
muss und dass man nur einen schönen will, im Notfall fährt man auch schon mal
ins Ausland, denn richtig schön sind die Hunde doch eh nur kupiert…
18 Monate später stehen sie dann da und suchen
verzweifelt Hilfe. Die Nachbarn sind verärgert und drohen mit dem Vermieter,
denn der Hund schlägt bei jedem Geräusch an ungeachtet der Tages- oder
Nachtzeit. Das Ordnungsamt war auch schon mal da und es droht Maulkorbzwang,
weil Dobi wiederholt Radfahrer gehetzt und auch schon Passanten gezwickt hat
und ableinen kann man ihn draußen gar nicht mehr, weil er nicht nur einmal
hinter Reh oder Wildkaninchen her ist und stundenlang verschwunden war. Aber
das Spielzeug zuhause ist modern, das Hundebettchen modisch und Dobi hat 35
handgeschneiderte Halsbänder im Schrank.
Nicht viel anders läuft es bei dutzend anderen
Hunderassen. Egal ob Border Collie, Malinois, Weimaraner, Aussie, Parson Russel
Terrier oder, oder, oder…. Viele Hundehalter suchen sich ihren hübschen (gerne
auch exotischen) Hund nach optischen Eindrücken aus, picken sich aus dem
hunderte Worte langen Standard ein oder zwei aus dem Zusammenhang gerissenen
Begriffe heraus, die rechtfertigen sollen, dass diese Rasse vom Charakter genau
ideal für sie ist.
Doch leider enttarnen gerade Rassen mit
Arbeitshintergrund die große Lüge von „wir haben die Rasse wegen ihrem
Charakter ausgesucht“ sehr schnell und nachhaltig. Besonders bizarr wird es
dann, wenn die Schuld für Probleme bei der seriösen Zucht und der
Zuchtrichtung der Rasse gesucht wird. „Wir finden den XY ja so eine tolle
Rasse, der Charakter ist so klasse, aber den für die Jagd zu züchten ist
verantwortungslos, das braucht doch kein Welpenkäufer mehr“.
Zu erklären, dass sich der Charakter einer Rasse über die
Eigenschaften definiert, die sie für ihren Gebrauchseinsatz benötigt (hat), ist
dabei in der Regel müßig. Viele sind der Überzeugung, dass sich
Charaktereigenschaften im luftleeren Raum bilden und eben einfach da sind.
Egal, wie unsinnig die Idee den Charakter von der Aufgabe der Rasse loslösen
zu wollen, auch sein mag, für viele Hundehalter ist es ganz normal geworden.
Und so werden auch weiterhin hunderte Hilfesuchende die
Hundeschulen und online Portale bevölkern und einem im Brustton der Überzeugung
die Lüge „Wir haben uns wegen dem Charakter für diese Rasse entschieden“
erzählen.