Mittwoch, 11. April 2018

Ein Zeichen setzen...



Ich habe lange gezögert, mich mit der Thematik Chico zu befassen, doch ich kann mich nicht auf meine Finger setzen.
Ein Hund hat zwei Menschen getötet und was dieser Tragödie folgt ist eine Farce sondergleichen. Schon wenige Stunden nach Bekanntwerden des Vorfalls machte in den „sozialen“ Netzwerken eine Petition die Runde, die zum Ziel hatte die Einschläferung des Hundes mit allen Mitteln zu verhindern. Tierschützer aller Couleur brüllten unisono „Es gibt keine Kampfhunde“, „Die Bestie ist der Mensch“ und ähnliche Parolen und mit ähnlicher Vehemenz schallte die Gegenfraktion mit der altbekannten „Kampfhunde sind Killer und müssen verboten werden“ Debatte zurück.
Die Tierschützer und Kampfschmuserfreunde halten dagegen, man wolle ein Zeichen setzen. Die Diskussion nimmt bisweilen groteske Formen an. Die Rede ist von Schuld, Rache, Wiedergutmachung und Sühne für erlittenes Leid, die Verschwörungstheorien werden immer wilder, bis hin zu einem Einbrecher, der einen Tierschädel als Waffe benutzt und die Besitzer damit getötet haben soll – ja ich habe die „Kommissar Rex“ Episode auch gesehen. Für alle die das noch nachholen müssen: Staffel 5 Episode 06 „Rex rächt sich“.
Und immer wieder die Anklage an die beiden Verstorbenen, sie seien selbst schuld bis hin zu der immer wieder gehörten Aussage, dass sie es nicht anders verdient hätten. Die Menge tobt, der alte Grundsatz „de mortibus nil nisi bene“ ist lange vergessen. Alles ist erlaubt, was der Absolution des Hundes auch nur im Geringsten dienen könnte. Die Profis sprießen aus dem Boden wie die Krokusse im Frühling und jeder weiß absolut, dass dieser Hund zu retten ist, dass er nur Liebe und ein besseres Zuhause braucht, dass er nur glücklich sein muss und dann nie wieder etwas passieren wird.
Niemand weiß, was genau passiert ist, wieso es passiert ist, aber die Internethelden wissen ganz genau, wie es in Zukunft zu verhindern ist.
Zerrissen ist man auch in der Einschätzung des involvierten Tierheimes. Einerseits will man eine Parade veranstalten und einen Freudentanz für das Tierheim aufführen, weil sie die Einstellung, der Hund solle nicht eingeschläfert werden teilen. Andererseits würde man dem Tierheim gern die Schuld ankreiden und die Misshandlungs- und Vernachlässigungstheorie weiterspinnen. Doch dummerweise hat das Tierheim bei früheren Kontrollen diese angeblich unhaltbaren Haltungsbedingungen nie angetroffen und keinen Grund gesehen, die Empfehlung ans Amt zu geben, auf Grund unzureichender Haltungsbedingungen einzuziehen. Ein Dilemma, das man gut überspielen kann. Stattdessen wetzt man das Messer gegen die Medien.
Natürlich ist die Berichterstattung der Boulevardpresse wieder gewohnt quotengeil. Von Titelseiten fletschen geifernde Pitbulls die Leserschaft an und RTL plant ein Sonderthema „Wie gefährlich sind Kampfhunde“ in der Abendtalkrunde. Aber die Unterstellung der Bericht über den Tod eines Säuglings, verursacht durch den Familienhund sei erfunden, um Öl ins Feuer der Kampfhundhetze zu gießen, ist der Gipfel des Verfolgungswahns.
Und dann gibt es plötzlich wieder einen Grund für die „Rettet Chico“ Fraktion zum Jubeln. Zwei Videos, zusammen keine 30 Sekunden lang, die den Geretteten bei seinem ersten Spaziergang zeigen. Ein Hund der vergangene Woche zwei Menschen getötet hat, wird an einer kaputten Moxonleine ohne Maulkorb durch das Tierheimtor vom eingezäunten Grundstück geführt und der Reportermeute präsentiert. Am Tor knurrt er kurz einen Reporter an, später verhält er sich aggressiv einem anderen Hund gegenüber, aber ansonsten war er ganz lieb und freut sich sicher über den Spaziergang, das kann man doch sehen.
Und man kann nicht nur etwas sehen, sondern auch etwas hören. Nämlich die schallende Ohrfeige, die die Verantwortlichen hinter dieser Aktion all jenen verabreicht haben, die ihre Hunde mit Leinen- und Maulkorbzwang verantwortungsbewusst sichern und führen. Dort draußen laufen Tag ein Tag aus hunderte Hundehalter herum, deren Hund außerhalb eines gesicherten Grundstückes immer Maulkorb trägt und immer an der Leine ist, weil das ein Gesetz oder ein Gutachter verfügt hat, sei es auf Grund der Rassezugehörigkeit ohne einen Vorfall oder auf Grund eines Vorfalls, der jedoch immer geringer gewesen sein wird, als der Fall Chico.
Wie bitte schön will man jemanden der sich an seine Auflagen hält und dem Bußgeld und Entzug des Hundes bei Zuwiderhandlung drohen, schlüssig erklären, dass ein Hund nach einem solchen Vorfall derart unzureichend gesichert herumlaufen darf?

Es gibt in Deutschland Gesetze gegen gefährliche Hunde, die gab es auch schon vor dem Fall Volkan, aber damals wie heute, interessiert niemanden die Einhaltung so wirklich. Nein, man tritt das Recht mit Füßen und hält auch noch mit der Handykamera drauf, damit man aus der Tierschutzfraktion Applaus dafür erhält und sich als tierlieb präsentieren kann. Man bekommt bei dem verantwortlichen Tierheim langsam den Eindruck, dass man nach der Devise „Jede Publicity ist gute Publicity“ lebt, denn schon wird ein Interview hinterhergeschoben, der Tod der Leute bedauert, aber auch gleich wieder von Gerechtigkeit für den Hund gesprochen. Zwar werden ein paar Punkte gerade gerückt z.B. worüber ein Tierheim in solchen Dingen entscheiden darf und worüber nicht, aber man holt sich seine Dosis Applaus aus der „Rettet Chico“ Ecke ab.
Der Hund der das Baby getötet hat, hat in der Zwischenzeit immer noch keinen Namen. Für ihn gibt es keine Petition und auch das Tierheim in dem er untergebracht ist, verzichtet danken auf Medienrummel, verweist auf die Sicherheit seiner Mitarbeiter und der Bedeutung des laufenden Betriebes und lässt aufdringliche Reporter vor der Tür stehen.

Die Farce um Chico geht derweil weiter. Von eingehender gesundheitlicher Untersuchung und von Wesenstest ist die Rede, es wird diskutiert, was mit dem Hund in Zukunft passieren soll, wo er untergebracht wird, welche Möglichkeiten es geben könnte.
Die Frage, wer zur Verantwortung gezogen wird, wenn der Hund weiterlebt und durch eine Unachtsamkeit wieder jemanden verletzt, darf man nicht stellen. Wie lebenswert das Leben eines Hundes in dauerhafter Verwahrung sein wird, darf man nicht fragen. Wie man sich eine Betreuung dieses Hundes vorstellt, darf man nicht fragen.
Es verdirbt die Wunschvorstellung der Rettungsfraktion, in deren Fantasie sitzt der Hund nach ein bisschen Liebe, etwas Clickertraining und viel Verständnis bald bei einem Kampfschmuserfan auf der Couch oder Futter auf süßen Fotos mit der Tochter Kekse im grünen Gras und ist glücklich und so harmlos wie ein Schmetterling, denn Liebe ist ja schließlich alles was zählt.
Die Realität dahinter, wird verdrängt. Ein Hund hat zwei Menschen getötet und das Kernthema der Diskussion ist, wie man den Hund glücklich machen kann.
Obwohl einen immer mehr das Gefühl beschleicht, dass es gar nicht um den Hund geht. Es geht um Medienpräsenz und darum seine eigene Weltanschauung zu verteidigen. Anders kann man es sich nicht erklären, dass hier mit dermaßener Vehemenz vorgegangen wird. Denn neben der Kampfschmuser/Killerhund Diskussion tauchen plötzlich auch noch andere aus der Versenkung auf. Zig Organisationen nutzen die Möglichkeit auf ihr (angebliches) Können und ihre Vermittlungserfolge hinzuweisen, Tierrechtsorganisationen hängen eine Anti Speziesismus Debatte an und sprechen von Hinrichtung und Todesstrafe, von irgendwo taucht ein fast vergessener Experte auf und schreit sein altes Credo „Schutzhundesport macht Hunde zu Bestien“ in den Raum und man steht am Rande der Diskussion und kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.

Man wolle ein Zeichen setzen, hieß es zu Beginn und ja, das hat man geschafft.

Ein Zeichen gegen den gesunden Menschenverstand.
Ein Zeichen gegen das Mitgefühl gegenüber den Opfern dieser Tragödie.
Ein Zeichen gegen den kynologischen Sachverstand
Ein Zeichen gegen die journalistische Seriosität.
Ein Zeichen gegen den verantwortungsbewussten Tierschutz.
Ein Zeichen gegen das korrekte Handeln von Behörden.

Die Beteiligten dieser Farce werden lange im Gedächtnis bleiben. In einem guten Licht wird keiner stehen. Vergessen hingegen werden die Opfer und hinterbliebenen sein, sind sie es doch jetzt schon so gut wie und es bleibt zu hoffen, dass in dem ganzen Kompetenzgerangelt und dem ganzen Geheische um das öffentliche Interesse nicht auch jene vergessen werden, die in Zukunft mit dem Hund umgehen müssen und deren Sicherheit.