Ich habe lange gezögert, mich mit der Thematik Chico zu
befassen, doch ich kann mich nicht auf meine Finger setzen.
Ein Hund hat zwei Menschen getötet und was dieser
Tragödie folgt ist eine Farce sondergleichen. Schon wenige Stunden nach
Bekanntwerden des Vorfalls machte in den „sozialen“ Netzwerken eine Petition
die Runde, die zum Ziel hatte die Einschläferung des Hundes mit allen Mitteln
zu verhindern. Tierschützer aller Couleur brüllten unisono „Es gibt keine
Kampfhunde“, „Die Bestie ist der Mensch“ und ähnliche Parolen und mit ähnlicher
Vehemenz schallte die Gegenfraktion mit der altbekannten „Kampfhunde sind
Killer und müssen verboten werden“ Debatte zurück.
Die Tierschützer und Kampfschmuserfreunde halten dagegen,
man wolle ein Zeichen setzen. Die Diskussion nimmt bisweilen groteske Formen an.
Die Rede ist von Schuld, Rache, Wiedergutmachung und Sühne für erlittenes Leid,
die Verschwörungstheorien werden immer wilder, bis hin zu einem Einbrecher, der
einen Tierschädel als Waffe benutzt und die Besitzer damit getötet haben soll –
ja ich habe die „Kommissar Rex“ Episode auch gesehen. Für alle die das noch
nachholen müssen: Staffel 5 Episode 06 „Rex rächt sich“.
Und immer wieder die Anklage an die beiden Verstorbenen,
sie seien selbst schuld bis hin zu der immer wieder gehörten Aussage, dass sie
es nicht anders verdient hätten. Die Menge tobt, der alte Grundsatz „de
mortibus nil nisi bene“ ist lange vergessen. Alles ist erlaubt, was der
Absolution des Hundes auch nur im Geringsten dienen könnte. Die Profis sprießen
aus dem Boden wie die Krokusse im Frühling und jeder weiß absolut, dass dieser
Hund zu retten ist, dass er nur Liebe und ein besseres Zuhause braucht, dass er
nur glücklich sein muss und dann nie wieder etwas passieren wird.
Niemand weiß, was genau passiert ist, wieso es passiert
ist, aber die Internethelden wissen ganz genau, wie es in Zukunft zu verhindern
ist.
Zerrissen ist man auch in der Einschätzung des
involvierten Tierheimes. Einerseits will man eine Parade veranstalten und einen
Freudentanz für das Tierheim aufführen, weil sie die Einstellung, der Hund
solle nicht eingeschläfert werden teilen. Andererseits würde man dem Tierheim
gern die Schuld ankreiden und die Misshandlungs- und Vernachlässigungstheorie weiterspinnen.
Doch dummerweise hat das Tierheim bei früheren Kontrollen diese angeblich unhaltbaren
Haltungsbedingungen nie angetroffen und keinen Grund gesehen, die Empfehlung
ans Amt zu geben, auf Grund unzureichender Haltungsbedingungen einzuziehen. Ein
Dilemma, das man gut überspielen kann. Stattdessen wetzt man das Messer gegen
die Medien.
Natürlich ist die Berichterstattung der Boulevardpresse
wieder gewohnt quotengeil. Von Titelseiten fletschen geifernde Pitbulls die
Leserschaft an und RTL plant ein Sonderthema „Wie gefährlich sind Kampfhunde“
in der Abendtalkrunde. Aber die Unterstellung der Bericht über den Tod eines
Säuglings, verursacht durch den Familienhund sei erfunden, um Öl ins Feuer der
Kampfhundhetze zu gießen, ist der Gipfel des Verfolgungswahns.
Und dann gibt es plötzlich wieder einen Grund für die „Rettet
Chico“ Fraktion zum Jubeln. Zwei Videos, zusammen keine 30 Sekunden lang, die
den Geretteten bei seinem ersten Spaziergang zeigen. Ein Hund der vergangene
Woche zwei Menschen getötet hat, wird an einer kaputten Moxonleine ohne
Maulkorb durch das Tierheimtor vom eingezäunten Grundstück geführt und der
Reportermeute präsentiert. Am Tor knurrt er kurz einen Reporter an, später
verhält er sich aggressiv einem anderen Hund gegenüber, aber ansonsten war er
ganz lieb und freut sich sicher über den Spaziergang, das kann man doch sehen.
Und man kann nicht nur etwas sehen, sondern auch etwas
hören. Nämlich die schallende Ohrfeige, die die Verantwortlichen hinter dieser
Aktion all jenen verabreicht haben, die ihre Hunde mit Leinen- und
Maulkorbzwang verantwortungsbewusst sichern und führen. Dort draußen laufen Tag
ein Tag aus hunderte Hundehalter herum, deren Hund außerhalb eines gesicherten
Grundstückes immer Maulkorb trägt und immer an der Leine ist, weil das ein
Gesetz oder ein Gutachter verfügt hat, sei es auf Grund der Rassezugehörigkeit
ohne einen Vorfall oder auf Grund eines Vorfalls, der jedoch immer geringer
gewesen sein wird, als der Fall Chico.
Wie bitte schön will man jemanden der sich an seine Auflagen
hält und dem Bußgeld und Entzug des Hundes bei Zuwiderhandlung drohen, schlüssig
erklären, dass ein Hund nach einem solchen Vorfall derart unzureichend
gesichert herumlaufen darf?
Es gibt in Deutschland Gesetze gegen gefährliche Hunde,
die gab es auch schon vor dem Fall Volkan, aber damals wie heute, interessiert
niemanden die Einhaltung so wirklich. Nein, man tritt das Recht mit Füßen und
hält auch noch mit der Handykamera drauf, damit man aus der Tierschutzfraktion
Applaus dafür erhält und sich als tierlieb präsentieren kann. Man bekommt bei
dem verantwortlichen Tierheim langsam den Eindruck, dass man nach der Devise „Jede
Publicity ist gute Publicity“ lebt, denn schon wird ein Interview hinterhergeschoben,
der Tod der Leute bedauert, aber auch gleich wieder von Gerechtigkeit für den
Hund gesprochen. Zwar werden ein paar Punkte gerade gerückt z.B. worüber ein
Tierheim in solchen Dingen entscheiden darf und worüber nicht, aber man holt
sich seine Dosis Applaus aus der „Rettet Chico“ Ecke ab.
Der Hund der das Baby getötet hat, hat in der
Zwischenzeit immer noch keinen Namen. Für ihn gibt es keine Petition und auch
das Tierheim in dem er untergebracht ist, verzichtet danken auf Medienrummel,
verweist auf die Sicherheit seiner Mitarbeiter und der Bedeutung des laufenden
Betriebes und lässt aufdringliche Reporter vor der Tür stehen.
Die Farce um Chico geht derweil weiter. Von eingehender
gesundheitlicher Untersuchung und von Wesenstest ist die Rede, es wird diskutiert,
was mit dem Hund in Zukunft passieren soll, wo er untergebracht wird, welche
Möglichkeiten es geben könnte.
Die Frage, wer zur Verantwortung gezogen wird, wenn der
Hund weiterlebt und durch eine Unachtsamkeit wieder jemanden verletzt, darf man
nicht stellen. Wie lebenswert das Leben eines Hundes in dauerhafter Verwahrung
sein wird, darf man nicht fragen. Wie man sich eine Betreuung dieses Hundes
vorstellt, darf man nicht fragen.
Es verdirbt die Wunschvorstellung der Rettungsfraktion,
in deren Fantasie sitzt der Hund nach ein bisschen Liebe, etwas Clickertraining
und viel Verständnis bald bei einem Kampfschmuserfan auf der Couch oder Futter
auf süßen Fotos mit der Tochter Kekse im grünen Gras und ist glücklich und so
harmlos wie ein Schmetterling, denn Liebe ist ja schließlich alles was zählt.
Die Realität dahinter, wird verdrängt. Ein Hund hat zwei
Menschen getötet und das Kernthema der Diskussion ist, wie man den Hund
glücklich machen kann.
Obwohl einen immer mehr das Gefühl beschleicht, dass es
gar nicht um den Hund geht. Es geht um Medienpräsenz und darum seine eigene
Weltanschauung zu verteidigen. Anders kann man es sich nicht erklären, dass
hier mit dermaßener Vehemenz vorgegangen wird. Denn neben der
Kampfschmuser/Killerhund Diskussion tauchen plötzlich auch noch andere aus der
Versenkung auf. Zig Organisationen nutzen die Möglichkeit auf ihr (angebliches)
Können und ihre Vermittlungserfolge hinzuweisen, Tierrechtsorganisationen
hängen eine Anti Speziesismus Debatte an und sprechen von Hinrichtung und
Todesstrafe, von irgendwo taucht ein fast vergessener Experte auf und schreit
sein altes Credo „Schutzhundesport macht Hunde zu Bestien“ in den Raum und man
steht am Rande der Diskussion und kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr
heraus.
Man wolle ein Zeichen setzen, hieß es zu Beginn und ja,
das hat man geschafft.
Ein Zeichen gegen den gesunden Menschenverstand.
Ein Zeichen gegen das Mitgefühl gegenüber den Opfern
dieser Tragödie.
Ein Zeichen gegen den kynologischen Sachverstand
Ein Zeichen gegen die journalistische Seriosität.
Ein Zeichen gegen den verantwortungsbewussten Tierschutz.
Ein Zeichen gegen das korrekte Handeln von Behörden.