Eine neue Epidemie grassiert unter den Welpenbesitzern.
Sie greift immer mehr um sich, füllt bereits diverse Themen in Hundeforen und
wird auch in den sozialen Netzwerken angeregt diskutiert. Doch seltsamerweise
wie heftig die Symptome auch ausfallen, allen Welpenbesitzern wird gesagt, dass
was sie durchmachen sei vollkommen normal und gesund.
Die Rede ist vom Welpenblues.
Gut möglich, dass man selbst noch nie etwas davon gehört
hat und auch ich war reichlich verwirrt, als ich das erste Mal davon las. Von
den betroffenen Welpenbesitzern wird eine ganze Charge an Symptomen aufgezählt,
beginnend bei Schlaflosigkeit, über Antriebs- und Appetitlosigkeit über
Durchfall und Erbrechen, bis zu Existenz- und Versagensängste, begleitet von
Heulkrämpfen und Nervenzusammenbrüchen. Nur fürs Protokoll, es geht hier um die
Anschaffung eines netten, gesunden und normal geprägten Welpens und nicht einem
totkranken Psychowrack vom Vermehrer.
Die Neu-Hundebesitzer erzählen von ihren Ängsten, den
psychosomatischen körperlichen Symptomen, die diese Panik und der Stress bei
ihnen auslöst und andere sitzen verständnisvoll nickend vor dem Bildschirm und
bestätigen eifrig, dass eine solche Reaktion vollkommen normal sei, schließlich
sei man unter großem Druck, alles richtig zu machen und da seien solche
Reaktionen nichts ungewöhnliches. Immer mehr User stimmen in den Chorus ein,
beschwichtigen die Welpenkäufer, sie hätten das ja alle durch und das sei
nichts Außergewöhnliches und schon gar nichts, worüber man sich Sorgen machen
müsse.
Auch ich erinnere
mich noch gut an die Welpenzeit von Mr Ekko und Cardassia und ja, nach der
vierten schlaflosen Nacht und dem zweiten Paar zerfetzter Lederreithandschuhe,
gab es Momente in denen ich überlegt habe, wieso ich mir das antue und ob es
nicht doch einen Versuch wert wäre, die kleine Kröte an den Welpenöhrchen
einfach an die nächste Wand zu nageln. Aber depressive Anwandlungen, weil ein
kleiner tapsiger Hund nun durch mein Leben läuft, habe ich nie auch nur im
Ansatz verspürt.
So etwas habe es auch schon früher gegeben, verkünden die
Vertreter des Welpenblues vollmundig. Nur sei es damals gesellschaftlich nicht
so akzeptiert gewesen, über solche Dinge zu sprechen. Ich muss gestehen, mich
beschleicht eher das Gefühl, dass es früher schlicht nicht üblich war, um Hunde
ein solches Gewese zu machen. Früher hat man sich überlegt, wofür man den Hund
haben möchte, wo es die passende Rasse gibt und hat sich einen Hund gekauft.
Heutzutage machen manche aus dem Leben mit Hund eine Doktorarbeit. Noch bevor
man weiß, welche Rasse es überhaupt sein soll, hat der durchschnittliche
Welpenblues-Kandidat vierdutzend Ratgeber gelesen, fünf Trainingsmethoden in
der Theorie durchprobiert, die Für-und-Wider von sechs verschiedenen
Fütterungsmethoden durchdiskutiert und kann das Symptomverzeichnis der Schul-
und Alternativmedizin aus dem FF aufsagen.
Schon vor dem Einzug wird der Hund zum überhöhten Wesen,
mit dessen Perfektion das eigene Schicksal steht und fällt. Was für andere
einfach eine alltägliche Sache ist, wird für diese Leute zum Prüfstein der
eigenen Wertigkeit. Ist der Welpe am dritten Tag noch nicht stubenrein, wird an
den eigenen Fähigkeiten gezweifelt. Lernt der Knirps nicht in der ersten Woche
ordentlich an der Leine zu laufen, stürzt das Selbstbewusstsein ins bodenlose.
Also sitzt man heulend vorm PC und holt sich Rat von Gleichgesinnten, die das
Alles abnicken und als ganz natürliche Reaktion auf die Veränderung im Leben
bezeichnen.
Auch wenn es in der heutigen Zeit schon fast sozial
anerkannt ist, Probleme nicht zu behandeln, sondern sich mit ihnen anzufreunden
und zum individuellen Lifestyle zu erheben, muss ich an dieser Stelle einfach
einmal sagen:
NEIN, ES IST NICHT NORMAL!
Wenn mich eine solch kleine Veränderung wie der Einzug
eines gesunden, freundlichen Welpens derart aus der Bahn werfen kann, dann habe
ich ein anderes, schwerwiegenderes Problem in meinem Leben, mit dem ich mich
auseinandersetzen sollte. Ein Welpe der auf seinem Deckchen einen Kauknochen
knabbert, ist kein Grund für Panikattacken und wenn mich die kleinen Konflikte,
die der Einzug des Vierbeiners mit sich bringt, in einen derartigen seelischen
Abgrund stürzen kann, sollte ich mir – eventuell mit professioneller Hilfe –
der Frage stellen, wie ich reagiere, wenn wirklich einschneidende Geschehnisse
eintreten. Denn wenn mich schon ein eigentlich freudiges Ereignis an den Rande
des Nervenzusammenbruches bringt, was passiert beim Tod eines
Familienangehörigen, bei einer Kündigung oder einer schweren Erkrankung?
Der Welpenblues mag in die heutige Zeit passen, zeigt er
doch die bisweilen sehr übertriebene Bedeutung, die der Hund im Leben mancher
Menschen einnimmt. Als normal sollte man diese psychologische Entwicklung nicht hinnehmen.
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