Mittwoch, 24. August 2016

Es müssen Zebras sein...





Ein amerikanischer Schriftsteller und Professor für Psychiatrie prägte in einem seiner Werke das Sprichwort „Wenn du Hufgetrappel hörst, denke zuerst an Pferde, nicht an Zebras“. Eine anschauliche Umschreibung des Prinzips von Ockhams Rasiermesser. Dieses besagt - stark vereinfacht ausgedrückt – dass man Erklärungen nicht unnötig verkomplizieren muss, da in den meisten Fällen die einfachste logische Erklärung, auch die Richtige ist.

In der Welt der Hundehalter scheint dieser Grundsatz des wissenschaftlichen Arbeitens gänzlich unbekannt zu sein. Denn egal in welchen Bereichen man sich umsieht, es darf alles sein, nur keine einfache Erklärung. Egal ob Rassewahl, Erziehung, Fütterung, Gesundheit oder Problemverhalten, Pferde interessieren niemanden, es wird immer sofort nach den Zebras gebrüllt und das mit einer Vehemenz, dass einem ganz schwindelig wird.

Wer mit ein paar Eckdaten auf die Suche nach der passenden Hunderasse geht, wird oft sein blaues Wunder erleben, welche Empfehlungen gemacht werden. Natürlich kommen auf die Frage nach einem freundlichen nicht zu großen Begleithund für Familie und Freizeitsport auch die üblichen Verdächtigen, aber immer öfter tauchen in diesen Listen auch die Zebras auf. Rassen von denen der Interessierte noch nie (und auch der Hundekenner oftmals nur in der Theorie) gehört hat, nicht weiß, wie man den Namen richtig schreibt und man sich nicht einmal sicher ist, ob diese Rasse in Deutschland (oder Europa) überhaupt gezüchtet wird. Denn seien wir doch mal ehrlich, ein Västgötaspets ist sicher die bessere Wahl, als ein ordinärer Spitz. Passt unter Garantie auch besser in den Alltag hier.

Amüsant wird es auch in Fragen der Erziehung. Auch hier scheinen einfache Antworten verpönt zu sein. Der Hund versucht essen vom Tisch zu klauen? Es einfach zu verbieten und den Tisch abzuräumen ist ja so oldschool… Zuerst muss man herausfinden, welchen Beweggrund der Hund hat, vielleicht hat er ja vor dem Einzug gelitten, musste sich selbst mit Futter versorgen und deshalb darf man auf keinen Fall zu schnell an die Sache rangehen. Also erstmal ein Alternativverhalten aufbauen und langsam Verhaltensketten formen. Nicht, dass man das bestehende Trauma noch verstärkt. Denn es ist ja absolut undenkbar, dass man da einfach nur eine unerzogene rotzfreche Arschkrampe vor sich hat, die eben klaut, weil sie jetzt gern das Wurstbrot haben möchte, ganz ohne tieferliegendes Trauma oder sonstige Schäden.
Trauma ist generell ein sehr beliebtes Wort bei den Zebrafreunden, damit lässt sich alles herrlich erklären und vor allem klingt es schön dramatisch. Die junge Hündin aus Privatabgabe reagiert aggressiv, wenn der Nachbarsrüde aufreitet? Die wurde in ihrem früheren Leben bestimmt zwangsgedeckt und vom Vermehrer ausgenutzt. Die Idee, dass ein Hund ein solches Verhalten eines Artgenossen auch einfach so unverschämt finden und abstrafen kann, kommt den Wenigsten in den Sinn. Bei schlecht erzogenen Hunden oder solchen, die einfach rassebedingt Probleme mit gewissen Situationen haben, ist die neueste Modediagnose derzeit das Deprivationssyndrom. Der junge Rottweiler findet Fremde im Dunkeln nicht so toll und beginnt erstes Droh- und Aggressionsverhalten zu zeigen? Eigentlich würde der normale Menschenverstand sagen: Junger Gebrauchshund entwickelt sich rassetypisch, es wird Zeit, dass der Hundeführer erzieherisch eingreift, um das Verhalten in kontrollierte Bahnen zu lenken.
Nein, man findet sofort eine Horde von Profis, die Stein und Bein schwören, dass dieses Verhalten nicht „normal“ ist, sondern der Hund unter Sicherheit zu reizarm aufgewachsen ist und dadurch schweren Schaden genommen hat.
„Normal“ ist ohnehin ein großes Reizthema gerade in Fragen den hundlichen Verhaltens. Entwickelt sich der Welpe nicht so, wie vom Käufer erwartet, ist immer schnell jemand mit der Diagnose „verhaltensgestört“ bei der Hand. Kommt man mit dem so geliebten Deprivationssyndrom nicht weiter, wird sofort die Genetik herangezogen und wenn die auch nicht weiterhilft, muss seit Neustem immer öfter die Epigenetik herhalten. Die Mutter hatte bestimmt viel Stress in der Trächtigkeit, deshalb ist der Welpe gestört. Betrachtet man sich das angeblich so gestörte Verhalten des Hundes, kommt man in der Regel schnell zu dem Schluss, dass es zwar unerwünschtes Verhalten ist, aber eben eines, das sich als logische Konsequenz aus falscher Haltung und mangelnder Erziehung entwickelt. Aber dass ein überdrehter, kläffender und beißender Junghund eben eine normale Entwicklung ist, wenn das Umfeld nicht passt, darf man nicht laut aussprechen.

Wirklich skurrile Blüten treibt das Ganze jedoch, wenn man in der Gesundheitsecke ankommt. Der Hund humpelt seit dem letzten Spaziergang Pfotenverletzung durch spitze Gegenstände oder einfach nur Vertreten wären zu simple Diagnosen. Nein, man muss sofort in die Tierklinik, ab ins CT, denn im Röntgen könnte man ja das Osteosarkom im Anfangsstadium übersehen.
Der Hund hat sich am Nachmittag dreimal gekratzt? Ist auf jeden Fall Syringomyelie oder Demodex.
Der Hund ist schlapp, frisst schlecht und will nicht zwei Stunden Gassi gehen? Die Tatsache, dass draußen 35 Grad im Schatten herrschen, hat darauf sicher keinen Einfluss. Ein großes Blutbild muss sofort her, natürlich mit Mittelmeercheck, denn der Hund kann sich alles Mögliche zugezogen haben. Das geht von Vergiftung über Anapalsmose bis hin zu noch exotischeren Krankheiten, die man in der Regel erst googlen muss, um zu wissen, was es überhaupt sein soll.


Manchmal beschleicht einen bei den Massen an aufgescheuchten Zebras schon ab und an das Gefühl, dass die Schreiber kein echtes Interesse an der Lösung des Problems haben, sondern nur demonstrieren wollen, dass sie mehr Wissen besitzen als andere und daher so ausgefallene Worte wie „Västgötaspets“, „Deprivationssyndrom“ oder „Syringomyelie“ kennen und richtig schreiben können.
Wissen mag Macht sein, doch wirft man es zusammenhangslos in den Raum und Diskussionen, ist es wie ein Zebra im Wohnzimmer. Irgendwie nett anzusehen aber im Endeffekt nur nutzlos und störend.