Manchmal frage ich mich, ob andere Tierarztpraxen ihren
eigenen Dr. Sexy haben, der in seinen Cowboystiefeln Helferinnen und
Patientenbesitzer gleichermaßen verzaubert und verführt, dass sie keinen Tag
ohne ihn aushalten können. Denn anders kann ich mir den sinnfreien
Diagnosemarathon mancher Hundehalter nicht vorstellen, es sei denn, ich würde
ihnen unterstellen, dass sie nach einer medizinischen Ausrede für ihr eigenes
Versagen suchen.
Mir begegnen immer mehr junge Hunde, die bereits einen
wahren Diagnosemarathon hinter sich haben und im Alter von drei Jahren schon
öfter gepiekst wurden, als das Nadelkissen meiner Schneiderin. Auf den ersten
Blick nichts Ungewöhnliches, denn auch wenn es traurig ist, gibt es nun mal
Hunde, die gesundheitliche Dauerbaustellen sind und von einer Erkrankung in die
nächste stolpern. Ich habe selbst so ein Exemplar hier liegen und weiß, wie
ermüdend und frustrierend das ist. Umso weniger Verständnis kann ich dafür
aufbringen, wenn ich dann erfahre, dass diese ständigen Untersuchungen nicht
durch körperliche Symptome ausgelöst wurden, sondern durch den Wunsch zu
verstehen, wieso der Hund sich immer noch nicht erziehen lässt.
Nicht dass mich jemand falsch versteht. Ich finde es
begrüßenswert, dass sich herumgesprochen hat, dass körperliche Erkrankungen das
Verhalten beeinflussen können und auch immer mehr Trainer bei Problemhunden
daran denken, zuerst die gesundheitliche Komponente überprüfen zu lassen, bevor
man mit dem Training beginnt. Doch wie immer schlagen die Hundehalter plötzlich
immer häufiger ins krankhafte Extrem um und jedes unerwünschte Verhalten, dass
nicht in ihr heiles Weltbild passt, muss durch eine Krankheit hervorgerufen
werden.
Der Dobermannwelpe ist aufgedreht und erkennt seine Grenzen
nicht? Man hat mal irgendwo im Internet gelesen, dass das von einer
Fehlfunktion der Schilddrüse kommen kann und die Erkrankung bei dieser Rasse
auch häufig vorkommt. Der Herdenschutzhund wird bei Dämmerung unleidig und
reagiert schneller aggressiv? Dr. Google spukt Nachtblindheit aus. Der
erwachsene Gebrauchshundrüde findet fremde Menschen und Artgenossen überflüssig
und packt die Beißerchen aus, wenn ihm jemand zu nahekommt? Der hat sicher
Schmerzen von den Gelenken oder Wirbelsäule.
Und hier trennen sich die Gesundheitssuchend in zwei
Gruppen auf.
Gruppe 1 reicht die Expertise von Dr. Google. Manchmal
kommt noch die Beurteilung durch den Röntgenblick eines Hundetrainers oder
befreundeter Tierschützer hinzu, die Erkrankungen des Bewegungsapparates mit
ihren besonderen Fähigkeiten ohnehin besser beurteilen können, als Tierärzte
mit Röntgengeräten. Und obwohl in der Hinsicht nie ein Tierarzt konsultiert und
auch nur eine einzige Untersuchung durchgeführt wurde, wird ab sofort jedem der
nicht schnell genug wegläuft oder gar unvorsichtigerweise nachfragt, die selbst
erfundene Diagnose auf die Nase gebunden und muss als Erklärung und
Entschuldigung für jegliches unerwünschte Verhalten taugen. Ja, der Bubi
schnappt nach fremden Menschen, weil er so extrem kurzsichtig ist und daher
erschreckt – Wissen Sie, die Babsi hat ja ADHS und kläfft deswegen die ganze
Zeit – Nein, der ist nicht aggressiv, der Bobby hat ein ganz schweres
Hüftleiden und weil ihm andere Hunde da schon mal weh getan haben, reagiert er
so böse…
Interessanterweise sucht man sich immer Diagnosen aus,
bei denen eine Behandlung gar nicht oder nur bedingt möglich ist. Die perfekte
Ausrede, wieso man nicht an den Macken seines Hundes arbeitet. Außerdem schlägt
man meist gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen haben plötzlich viele
andere Hundehalter absolutes Verständnis, wenn der Fiffi ist aufführt wie Rotz
am Ärmel und zum anderen erntet man oft genug auch noch Lob und Bewunderung,
weil man es auf sich nimmt, das Leben mit einem so kranken Hund auf sich zu
nehmen. Spannend wird es ja immer, wenn in diesen Fällen irgendjemand anfängt,
Fragen zu stellen. Sei es, weil dieser Jemand einen Hund hat, der wirklich an
der Erkrankung leidet und sich austauschen will oder weil derjenige den Braten
riecht und so seine Zweifel hinsichtlich der vermeintlichen Diagnose hegt. In
der Regel sind die Reaktionen auf Hintergrundfragen zuerst ausweichend und dann
schlägt die Stimmung sehr schnell in beleidigte Aggression um. Der Weg wird den
Hundehalter aber weder in die nächste Tierarztpraxis oder zum Hundetrainer
führen. Er wird sich einfach nur neues Publikum suchen, das ihm seine Mär vom
kranken Hund wieder abnimmt.
Gruppe 2 macht sich durchaus auch im Internet schlau,
welche Erkrankungen zu Foffis Verhalten führen könnte, will aber die
Bestätigung vom Tierarzt haben. Also fährt man mit seinen Verdachtsdiagnosen in
die nächste Praxis und es geht los. Blutbild, Gentests, Röntgen, Ultraschall,
Augen- und Herzuntersuchungen, CT und MRT bis der Geldbeutel kracht. Wird etwas
gefunden, ist der Hundehalter selig, selbst wenn man nicht wirklich einen
Kausalzusammenhang zum Fehlverhalten ziehen kann, aber der Hund hat was. Doch
zu oft stellt sich heraus, dass der Hund sauber ist. Paar kleinere Punkte
findet man natürlich bei jedem Lebewesen, aber oft genug tut sich auch bei der
kompletten Durchleuchtung keine wirkliche Baustelle auf, die irgendetwas auch
nur im Ansatz erklären könnte.
Doch anstatt dann einfach mal zu überlegen, ob die
Antwort auf das Problem vielleicht schlicht lauten könnte „du hast die
Arschgeige einfach nicht vernünftig erzogen und im Griff“, geht die Odyssee
weiter. Der Tierarzt ist ein Pfuscher und man sucht sich die nächste Praxis in
der der Diagnosemarathon von vorne losgeht. Wird auch nach Jahren nichts
gefunden, wechselt man nach dem 17. Ergebnislosen Blutbild und dem 10. Sauberen
Röntgenbefund irgendwann zur Alternativmedizin. Zwar werden auch dort die
seriösen Anlaufstellen erst einmal einen gesunden Hund vorfinden, doch
irgendwann gelingt es jedem, einen Pfuscher aufzuspüren, der auch dem
gesündesten Tier ein schweres Ungleichgewicht der Körperenergien, Verschlammung
der Herzlymphen oder eine Übersäuerung der Haarwurzeln diagnostiziert und der
Hundehalter seinem Vierbeiner endlich mit Erleichterung das Etikett „krank“
aufkleben und sich entspannt zurücklehnen kann.
Denn endlich hat man den Beweis, dass man als Hundebesitzer nicht bei der Erziehung versagt – oder es gar nicht erst genug versucht hat – sondern, dass der geliebte Vierbeiner einfach nur krank ist und man selbst nie etwas dagegen hätte unternehmen können, um die Entwicklung zu ändern. Denn dass die echte Diagnose in vielen Fällen schlicht und ergreifend lauter: „Gratuliere Frau Müller, ihr Bobby ist eine unerzogene Arschgeige“ möchten Hundehalter nicht hören und wahrhaben.