Samstag, 27. Februar 2016

Der Verein, das unbekannte Wesen




Bereits in „Wo sind all die Sportler hin?“ ging es zum Teil um die Sportvereine und die (Fehl)Vorstellungen rund um das Vereinsleben. Doch ein aktueller Artikel in einem Magazin bringt mich an dieser Stelle dazu, mich mit diesem Thema noch einmal etwas expliziter auseinander zu setzen.

Der Hundeverein im Generellen und der Schäferhundeverein im Speziellen hat, wenn man sich so umsieht, nicht den besten Ruf. Ausschlaggebend für diesen Eintrag war jedoch ein Artikel zu Gruppenzwang in Vereinen. Um es kurz zu machen, der Verein und besonders der Gebrauchshundeverein ist ein Ort, an dem keine eigene Meinung geduldet, in Gruppen im Kreis gelaufen, mit vorsintflutlichen Methoden ausgebildet wird und an dem im Rudel neue Mitglieder in die richtige geistige Haltung oder vom Platz gemobbt werden. In Hundeschulen scheint es solche Probleme nicht zu geben – zumindest werden sie von der Autorin mit keinem Wort erwähnt – und wer in einem modernen Verein arbeiten will, muss ihn selbst gründen, gerade in der Gebrauchshundewelt.
Eigentlich schätze ich das Magazin, das diesen Bericht veröffentlichte, sehr und auch das Thema Gruppenzwang unter Hundehaltern hat durchaus seinen Reiz. Nur diese extrem einseitige und auf eine bestimmte Gruppe gemünzte Darstellungsweise, hat mich sehr enttäuscht und mir stellt sich die Frage, ob die Berufshundetrainer zurzeit wieder um ihre Kunden fürchten und in den Vereinen eine derartige Konkurrenz sehen, dass solche pauschal abwertenden Berichte und Kommentare notwendig sind, um sich einen Vorteil am Markt zu verschaffen.
Die ersten hundlichen Gehversuche habe ich vor fast 20 Jahren im SV gestartet, eine wirkliche Alternative gab es damals nicht. Ab 2006 habe ich mein Glück in diversen Hundeschulen versucht und mir über mehrere Jahre verschiedene der „modernen“ Sportarten und Erziehungsmethoden angesehen und ausprobiert. Vor knapp vier Jahren führte der Weg zurück in den IPO Sport und den SV. Ich habe viel gesehen und noch mehr gehört und die Geschichten rund um die Vereine waren immer die gleichen, auch aus dem Mund derer, die noch nie ein Vereinsgelände betreten hatten.

Was ist also dran und den Vorurteilen rund um den Verein?

Vorurteil 1: Im Verein wird in der Gruppe im Kreis gelaufen

Vermutlich die erste Vorstellung, die die meisten Leute vom Training im Verein haben. Der Meinung der Nicht-Vereinsleute nach, gehen wir alle in großen Gruppen auf den Hundeplatz, laufen beim Training im Kreis herum und spulen auf unserer Kreisbahn eine Übung nach der anderen ab.

Um ehrlich zu sein, ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich jemals beim Training im Kreis gelaufen bin – ausgenommen der Zeit, als mein Hund in der UO weder Kehrtwende noch Winkel beherrschte und ich irgendwie umdrehen musste – und den letzten Gruppenunterricht, in dem ich mir den Trainer mit fünf weiteren Hund-Halter-Teams teilen musste, die gleichzeitig mit mir auf dem Platz waren, hatte ich in der Hundeschule. Aber in der Hundeschule ist der Gruppenunterricht ja auch viel besser und nichts Kritikwürdiges, immerhin kostet er mindestens 25€ und man läuft dabei nicht im Kreis, sondern nebeneinander auf dem Platz auf und ab.
Es gibt nur ein „Event“ bei dem es im Verein noch Usus ist, in der Gruppe auch mal im Kreis zu laufen und das ist der Erziehungskurs. Natürlich kann man auch bei dieser einen Veranstaltung meckern, dass es nicht zeitgemäß ist und die individuelle Betreuung fehlt, aber für einen Preis von 5 bis 7,50€ die Stunde, in der der Trainer auch mehr damit beschäftigt ist, den Leuten zu erklären, warum die Hunde an der Leine nicht spielen sollen, was der Unterschied zwischen Bestätigen und Bestechen ist und wieso es nichts bringt ein Kommando 50mal zu wiederholen, wäre das schon Jammern auf extrem hohem Niveau. Zumal es für jene, die nach dem Schnupperkurs weiterarbeiten wollen, Einzeltraining (fast) für lau gibt, wie für jedes aktive Vereinsmitglied.

Vorurteil 2: Im Verein trägt man Flecktarn und der Ton ist militärisch

Das Modediktat herrscht auch auf dem Hundeplatz, wer hier nicht standesgemäß im Flecktarn durch den Matsch stapft, fällt auf wie der sprichwörtliche bunte Hund, weiß der Vereinsverweigerer.
Ich muss gestehen, auch ich stand schon diverse Male in Flecktarn am Hundeplatz, wahlweise in den Variationen Desert, Night oder Neon. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, das war zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zu einer Zeit in der man in Flecktarnhose und bauchfreiem Top in Olivgrün mit Militärdruck auch an jedem Türsteher in der Disco problemlos vorbeikam.
Auf den Hundeplätzen der Republik sieht man die Flecktarnhose heute deutlich seltener, sie ist in weiten Teilen dem zeit- und ideologielosen Design von Engelbert Strauss gewichen. Dort wo sie noch anzutreffen ist, sollte man sich immer vor Augen führen, dass die Hose nicht zwingend Ausdruck einer bestimmten Denkungsrichtung sein muss. Manchmal haben Männer auch schlicht und ergreifend keinen (oder einen sehr miserablen) Modegeschmack.
Passend zum vermeintlichen Lieblingskleidungsstück soll auch der Ton sein, militärisch. Ich stelle mir dieses Bild gerne in Kombination mit Vorurteil 1 vor… der Drill Instructor steht im Mittelpunkt des Kreises stramm, die Hände straff an den Seiten seiner Flecktarnhose angelegt, beobachtet seine Rekruten, die im Kreis um ihn rum marschieren und brüllt von Zeit zu Zeit in zackigem Ton „Abteilung links um, Marsch!“ Nein, ich möchte eigentlich nicht näher darauf eingehen, wieso diese Vorstellung unsinnig ist. Schon allein beim Gedanken daran muss ich lachen, im realen Leben würde ich vermutlich vor Lachen über meine eigenen Füße fallen und die ganze Kompanie zu Fall bringen, sollte mir so eine Situation je begegnen.

Vorurteil 3: Im Verein muss man sich anpassen, sonst wird man gemobbt

Ein relativ heikles Thema, das meiner Meinung nach zu platt und zu verallgemeinernd behandelt wird und deutlich mehr Fingerspitzengefühl bedarf. Leider wird jedes Contra geben einer Gruppe heutzutage sofort als Mobbing abgestempelt, aber gleichzeitig durch diese inflationäre Verwendung des Begriffs echtes Mobbing schnell bagatellisiert.
In den meisten Fällen ist die Frage weniger, welche Meinung ich vertrete, als wie ich sie vertrete. Marschiere ich natürlich gerade als Neuling über dem Platz und verkünde in jeder möglichen und unmöglichen Situation im Brustton der Überzeugung, dass alles was um mich herum passiert Mist ist und die Trainingskollegen alle keine Ahnung haben, darf ich mich nicht wundern, wenn mir wenig Gegenliebe zuteil wird. Vernünftig argumentiert und ohne übergriffig und beleidigend gegenüber anderen zu werden, wird so ziemlich alles akzeptiert, was den Verein nicht in Verruf bringt, den Trainingsbetrieb stört oder andere gefährdet.
Natürlich wird sich immer irgendwo ein Kritiker finden, der vom Kaffeetisch aus weiß, dass es nichts bringt, aber wenn man das gleich als Mobbing einstuft, sollte man die Definition des Wortes noch einmal nachschlagen.
Sicherlich kann es Mobbing auch unter Hundlern geben. Auch auf dem Hundeplatz trainieren nur Menschen und dort finden sich wie im realen Leben alle guten und schlechten Eigenschaften der Mitmenschen, zum Standardrepertoire des Sportvereins gehört die Mobbinggruppe aber nicht. Wer mit einem Clicker im IPO Verein trainieren möchte, wird wesentlich öfter auf Toleranz treffen, als der Hundehalter der seinen Hund in der gewaltfrei beworbenen Hundeschule am Kettenhalsband führen möchte.

Vorurteil 4: Im Verein gibt es keine qualifizierten Trainer

Eine sehr überhebliche Einstellung, wenn man bedenkt, dass zu Zeiten in denen jeder Hans Wurst ohne auch nur einem Funken kynologischen Wissens mit einem Gewerbeschein für 30€ Hundetrainer sein konnte, in den Vereinen bereits jeder Übungsleiter einen Sachkundenachweis und ein Praxisseminar ablegen musste, welches zur Verlängerung der Trainerlizenz regelmäßig wiederholt werden musste. Seit kurzem haben die Hundeschultrainer mit Einführung des verpflichtenden §11 endlich gleichgezogen und obwohl man da deutlich hinterherhinkt in der Entwicklung, blickt man immer noch gerne auf die Ausbilder der Vereine hinab.
Hier kommt vermutlich die alte Überzeugung durch, dass was nichts kostet auch nichts wert ist. Training im Verein ist günstig, also wird es von vielen als minderwertig angesehen. Wer etwas kann, stellt sich schließlich nicht für lauf bei Wind und Wetter auf den Platz und gibt Wissen weiter, dass er in gewerblichen Hundeschulen für gutes Geld verlaufen könnte...
Glücklicherweise findet man in den Vereinen genügend Trainer, die anders denken. Aber auch hier gilt wie überall, es gibt versierte Ausbilder und es gibt Pfuscher. Allerdings hat man diese Spannbreite auch in den gewerblichen Hundeschulen.

Vorurteil 5: Im Verein wird mit Gewalt erzogen

Das Lieblingsargument vieler Vereinsgegner. Im Verein herrscht das Gesetz der Gewalt, es wird getreten, geschlagen, geschrien, gewürgt…. Manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass diese Gewaltphantasien wesentlich mehr über die vermeintlichen Gewaltgegner aussagen, als über die angeblichen Täter. Ich habe in nun beinahe 20 Jahren viele unschöne Trainingsmethoden gesehen, teils geduldet, teils verpönt, doch eines hatten sie alle gemeinsam: Sie wurden nie von allen angewandt, aber man fand sie in allen Bereichen.  Egal ob vermeintlich Zwang freie Hundeschule beim Junghundtraining, Spaßgruppe beim Fun-Agility-Training oder IPO Sportler, überall gab es Hundeführer, die die Grenzen überschritten in der Berechnung so schneller zum Ziel zu kommen.

Gewalt existiert überall und man wird immer Menschen finden, die sie akzeptieren. Und wieder ist dieser Fakt nicht an das Vereinsdasein gebunden.

Vorurteil 6: Im Verein kann ich bei den kurzen Trainingszeiten nichts lernen

Anders als in den meisten Hundeschulen sind die Aktiven Trainingszeiten, die man mit Hund auf dem Platz steht relativ kurz. Man wird es nicht erleben, dass man eine volle Stunde auf dem Platz herumläuft und Übung um Übung abspult. Kurze individuelle Trainingseinheiten mit Einzelbetreuung durch den Trainer prägen im Verein den Übungsbetrieb. Dabei arbeitet man selten länger als zehn Minuten am Stück mit dem eigenen Hund. Natürlich kann man mehrere Einheiten während dem Training einbauen, doch auf eine volle Stunde Arbeitszeit wird wohl niemand an einem Trainingsnachmittag kommen.
Leider herrscht in vielen Köpfen noch immer das Prinzip „viel hilft viel“. Sprich je länger man am Stück trainiert, desto mehr lernt der Hund an diesem Tag. Wer also nur zweimal 10 Minuten während des Übungsbetriebs arbeitet, verschwendet viel Zeit und kann nicht vorankommen. Leider vergessen Hundeführer mit dieser Einstellung zwei Dinge: Auch beim Hund ist die Konzentrationsfähigkeit irgendwann am Ende und wer einen geistig erschöpften Hund weiterhin durchs Training schleift, weil die bezahlte Stunde noch nicht um ist, wird mit Sicherheit weniger Fortschritte erzielen, als jemand der mit einem aufmerksamen, motivierten Hund zehn Minuten arbeitet. Und leider haben auch noch viele nicht begriffen, dass man auch ohne Hund an der Leine weiterlernen kann. Viel zu Wenige nutzen die Möglichkeit an den Trainingseinheiten der anderen teilzunehmen, zu beobachten, zu reflektieren und weiter zu lernen. Wer nach seinen zehn Minuten den Vierbeiner ins Auto packt und in bester Hundeschulmanier nach geleisteter Arbeit einfach verschwindet, beraubt sich dieser großen Chance im Vereinstraining und wird im Lernerfolg immer ins Hintertreffen geraten.

Vorurteil 7: Im Verein sind neue Sportarten nicht willkommen

Da kommt man voller Motivation in den Verein, absolviert brav seinen Grundkurs, macht die Begleithundeprüfung und eigentlich würde man gerne DogDance oder Agility machen, aber der furchtbare Verein bietet nur IPO an und weigert sich unverständlicherweise, das für einen zu ändern.
Nein, das ist nicht überspitzt formuliert, sondern passiert genau so regelmäßig in den Vereinen. Die Leute erwarten das rundum Spaßprogramm für Hund und Halter zum Vereinstarif und können nicht verstehen, dass die Vereine nicht jedem Trend nachgeben können und wollen. Verschiedene Sportarten fordern nicht nur mehr Organisation, sie kosten auch zusätzliches Geld für Geräte und vor allem benötigen sie auch fähige Trainer. Zu glauben, dass für jede Sportart plötzlich ein passender Ausbilder aus dem Nichts auftaucht, ist naiv. Ebenso unwahrscheinlich ist es übrigens, dass der Trainer, der kommerziell fünf verschiedene Sportarten in seiner Hundeschule anbietet, wirklich qualifizierte Ahnung von allen hat.
Wer eine bestimme Sportart mit seinem Hund ausüben will, sollte also von Anfang an einen Verein suchen, der diese auch anbietet und nicht darüber meckern, dass ein Verein nicht bereit ist, bestehende Strukturen zu ändern und irgendeines seiner Mitglieder zu neuen Trainerlehrgängen zu verdonnern, nur weil ein Neuanwärter es so will.

Vorurteil 8: Im Verein wird man als Mitglied nur ausgenutzt

Ja, Vereine haben die dumme Angewohnheit, dass von ihren Mitgliedern mehr erwartet wird, als schnell den eigenen Hund auf dem Platz zu bespaßen und dann in den Feierabend zu verschwinden. Arbeitsdienst, Küchendienst, Mithilfe bei Veranstaltungen, etc. werden vorausgesetzt. Eine Unverschämtheit, wenn man bedenkt, dass man für das Privattraining zweimal die Woche, 52 Wochen im Jahr doch ohnehin schon fast 100€ im Jahr bezahlen muss…
Man möge mir den Sarkasmus verzeihen, aber wer sich bei den Konditionen ausgenutzt fühlt, weil er einmal im Jahr helfen soll, im Vereinsheim Fenster zu putzen oder das Herbstlaub wegzufegen, kann gerne in einer Hundeschule bleiben und dort im Monat in seinen 5 Gruppenstunden für 100€ mit sechs anderen Hundehaltern auf dem Platz auf und abmarschieren.